Der letzte Krieger: Roman
Sternbilder dort unten spiegeln. Schon lange konnte ihre Schwester die geheimnisvollen Muster nicht mehr sehen, doch Elanya wusste, dass sie noch immer herkam, um am Ufer zu sitzen.
Die Sonne stand bereits tief. Nach der Begegnung mit den Orks und den endlosen Beratungen am Abend zuvor hatte Elanya den Besuch bei ihren Eltern genutzt, um lange zu schlafen. Ein eigenes Haus besaß sie nicht. Es hätte doch die meiste Zeit leer gestanden, wenn sie ihren Dienst bei der Grenzwache tat.
»Bist du das, Elanya?« Aphaiya saß an den Stamm einer Weide gelehnt und ließ eine Hand ins klare Wasser baumeln. Winzige Fische stießen neugierig ihre Finger an.
»Wie kannst du mich an meinen Schritten erkennen? Trampele ich so herum?«
Die Maske lächelte ihr ewig gleiches, feines Lächeln. Es versetzte Elanya noch immer einen Stich, wenn sie es nach einigen Tagen der Abwesenheit zum ersten Mal wieder sah. Wir haben versagt. Niemand sollte sein ganzes Leben lang eine Maske tragen müssen. Und doch besaß Aphaiya nur noch zwei Gesichter: ein strenges für die Versammlung und ein freundliches für die Gärten. Nicht einmal Elanya durfte in ihrer Nähe sein, wenn sie die Masken wechselte.
»Bist du gekommen, um mir von dem Kampf gegen die Orks zu erzählen?«
Elanya setzte sich zu ihrer Schwester ins Gras und bemühte sich um einen scherzhaften Ton. »Wem soll ich sonst davon erzählen? Vater ist viel zu beschäftigt damit, Streit zwischen Blumen und Beeren zu schlichten, und Mutter will von Kämpfen nichts hören.«
»Mutter fürchtet sich davor, dass sie eines Tages zwei verkrüppelte Töchter haben könnte«, erklärte Aphaiya sanft. »Sie versteht deine Entscheidung nicht.«
Wie konnte ihre Schwester so über sich sprechen? Es schmerzte Elanya mehr als die stummen Vorwürfe ihrer Mutter. »Ich wünschte, du würdest dich nicht als verkrüppelt bezeichnen. Du siehst mehr als wir alle zusammen.«
»Mehr, als ich zu sehen wünsche.« Aphaiya zog die Hand aus dem Wasser und richtete sich auf. »Die Vision kehrt jede Nacht zurück. Sie ist wie ein Albtraum. Der Mond jagt die Sonne vom Himmel. Sein bleiches Auge sucht nach mir. Die Flüsse fließen in ihre Quellen zurück und versiegen. Alles Leben verdorrt. Schatten erheben sich aus den welken Wiesen. Sie greifen nach uns, nach dem Ewigen Licht. Es droht zu erlöschen. Ich kann es an den Gesichtern der Neugeborenen sehen. Sie haben Falten und schütteres Haar. Sie sterben, noch vor ihrem ersten Atemzug.«
Elanya ergriff die Hand ihrer Schwester. »Noch sind es nur Bilder, die wir abwenden können. Es gibt jetzt Hoffnung. Davarons Seele mag verdüstert sein, aber Kavarath hat mich überzeugt. Wir könnten keinen Besseren aussenden. Er hat auf seinen Reisen vielen Gefahren getrotzt. Er wird auch diese Aufgabe meistern.«
Aphaiyas Finger erwiderten Elanyas Händedruck. »Möge es der Wille der Götter sein.«
»Warst du dabei, als sie Athanor das Angebot machten?«
Ihre Schwester nickte. »Ich wollte hören, was sie ihm sagen. Wie viel sie ihm sagen. Sie haben geschickt gesprochen. Er glaubt, dass Davaron ihn begleiten soll, damit er uns nicht hintergeht.«
Ist es gerecht, was wir tun? Elanya barg für einen Moment das Gesicht in den Händen. Für Kavarath und seinesgleichen war der Mensch kaum mehr als ein Troll, doch es hatte sie erschreckt, wie ähnlich er in Wahrheit einem Elf war. Wie konnten sie ihm zuhören und ihn noch immer für eine tumbe Bestie halten? »Er glaubt, dass wir seine Ehre anzweifeln, und in Wahrheit ist es viel schlimmer. Wir benutzen ihn. Bist du sicher, dass er nichts ahnt?«
»Das ist schwer zu sagen.« Ein Lächeln schlich sich in Aphaiyas Stimme. »Er vermag sich gewählt auszudrücken, aber es klingt, als müsse er jedes Wort erschlagen, bevor er es über die Lippen bringt. So kann ich seine Gefühle nur hören, wenn sie sehr stark sind.«
Elanya lachte. »Ja, seine Aussprache ist schrecklich. Ich bin nicht einmal sicher, ob er es merkt.«
»So viel hängt von seiner Hilfe ab.« Einen Augenblick schwieg Aphaiya nachdenklich. »Ich hätte ihn gern gesehen, um mir selbst ein Bild von ihm zu machen. Alle sagen, er sei schwerfällig und hat Fell im Gesicht – wie ein Bär. Aber er klang nicht danach.«
»Ein Bär?«, wiederholte Elanya amüsiert. »Das stimmt doch gar nicht! Ja, gut, er hat wirklich überall Haare. Aber im Gesicht schert er sie. Dann sieht er aus wie einer von uns. Nur seine Schultern sind breiter. Wie bei …« Sie suchte nach
Weitere Kostenlose Bücher