Der letzte Kuss
Eine: Versuchung hin oder her, Roman konnte es sich nicht leisten, mit Charlotte eine Beziehung aufzubauen. Jetzt nicht und überhaupt nicht, niemals.
Früh am nächsten Morgen wurde Roman von der Sonne geweckt. Trotz heftiger Kopfschmerzen streckte er sich und stieg mit einem neuen Gefühl von Entschlossenheit und Zielstrebigkeit aus dem Bett. Nach dem Duschen steuerte er auf die Küche zu. Frühstück würde nicht die Schmerzen vertreiben, aber wenigstens seinen leeren Magen füllen. Er holte eine Schachtel Schokoflakes aus der Speisekammer, füllte eine Schale damit, streute ein paar Minimarshmallows darüber und ertränkte dann das Ganze in Milch.
Sein Magen knurrte im selben Moment, als er sich niederließ, und zwar auf dem Platz, den er schon als Kind am liebsten gehabt hatte. Er zog die letzte Ausgabe der Gazette näher, um das neue und verbesserte Layout zu betrachten, und hatte vor Stolz einen Kloß im Hals.
Es war Chase gelungen, mit der gestiegenen Bevölkerung der Stadt auch die Zeitung weiterzuentwickeln.
Plötzlich hörte er jemanden die Treppe herunterlaufen und sah sich verblüfft um, als seine Mutter gerade beim Betreten der Küche abrupt stehen blieb.
»Roman!«
»Hast du wen anderes erwartet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nur …Ich dachte, du wärst schon weg.«
»Und du hattest beschlossen, in meiner Abwesenheit einen Marathon zu laufen?«
»Wolltest du nicht mit deinen Brüdern frühstücken?«
Er kniff die Augen zusammen. »Ich kam heute früh nicht aus dem Bett …, aber wechsle nicht das Thema. Bist du da gerade die Treppen hinuntergelaufen? Du sollst dich nämlich schonen, schon vergessen?« Hatte nicht auch Rick berichtet, sie hätte gestern Abend ganz atemlos geklungen?
»Wie sollte ich etwas so Wichtiges vergessen!« Sie legte eine zitternde Hand auf ihre Brust und kam langsam auf ihn zu.
»Was ist mit dir? Geht es dir gut?«
»Was sollte mir denn fehlen?« Wie sich dieses Gespräch im Kreise drehte, verwirrte ihn, sonst ging es ihm bestens.
»Deine Ohren sind offensichtlich noch vom Flug mitgenommen, wenn du meinst, du hättest mich laufen gehört. So etwas Lächerliches! Soll ich dir bei Dr. Fallon einen Termin machen?«
Er schüttelte so heftig den Kopf, dass sich seine Ohren hätten öffnen müssen, wären sie denn verstopft gewesen, und sah seiner Mutter in die Augen: »Mir geht es gut. Um dich mache ich mir Sorgen.«
»Nicht nötig.« Langsam ließ sie sich auf dem Stuhl neben Roman nieder, starrte auf seine Müslischale und runzelte die Stirn. »Na schön, ich sehe, manches hat sich nicht geändert. Ich kann es kaum fassen, dass ich tatsächlich dieses Zeug für dich bereit halte. Es wird noch deine …«
»Zähne verfaulen lassen, ich weiß.« Das hatte sie ihm oft genug angedroht, als er ein Kind war. Aber sie liebte ihn genug, um ihn auf jede Art zu verwöhnen. »Ist dir klar, dass ich bis jetzt noch keinen einzigen Zahn verloren habe?«
»Mit der Betonung auf bis jetzt . Ein alleinstehender Mann braucht alle seine Zähne, Roman. Keine Frau findet es attraktiv, mitten in der Nacht aufzuwachen und auf dem Nachttisch dein Gebiss im Wasserglas zu entdecken.«
Er verdrehte die Augen: »Bloß gut, dass ich ein respektabeler Mann bin, der keine Frauen bei sich übernachten lässt.« Das sollte seine Mutter erst einmal schlucken, dachte Roman trocken.
»Mit Respekt hat das nichts zu tun«, murmelte sie.
Wie gewöhnlich hatte seine Mutter nicht ganz Unrecht. Die Frauen blieben nicht über Nacht, weil er momentan mit keiner liiert war – und das seit einiger Zeit. Frauen, die eine Nacht blieben, hielten es für selbstverständlich, noch eine zu bleiben, und noch eine. Und als Nächstes fand sich der Mann in einer Beziehung wieder – was Roman für gar nicht so schlimm hielt, vorausgesetzt, er fände eine Frau, die ihn länger als ein paar Wochen interessierte. Chase und Rick ging es genauso. Allmählich kam es Roman so vor, als trügen die Herzen der Chandler-Brüder den Stempel BETRETEN VERBOTEN.
Jede intelligente Frau las das Feingedruckte, ehe sie sich auf irgendetwas einließ.
»Du bist schlauer, als es dir gut tut, Mutter.«
Als er sich von seinem Stuhl erhob, bemerkte er, dass Raina fertig angezogen war. Sie trug marineblaue Hosen, eine weiße Bluse mit einer Krawatte und hatte die Nadel mit den drei Baseballschlägern angesteckt, in der Mitte eines jeden ein Brillant – ein Geschenk seines Vaters zur Geburt von Chase, erweitert bei jedem
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