Der letzte Liebesdienst
saßen, fragte Fiona: »Hätten sie denn etwas dagegen tun können? Die Ärzte, meine ich.«
»Nein, wohl nicht.« Laras Schultern sanken zusammen. »Maja wollte es nicht. Sie haben ihr Chemotherapie angeboten, die Aussichten waren zweifelhaft, und Maja wollte ihre letzte Zeit nicht wie ein wandelnder Zombie herumlaufen. Deshalb hat sie abgelehnt.«
»Dann war es ihre Entscheidung, nicht die der Ärzte«, sagte Fiona.
»Willst du ihr jetzt etwa die Schuld geben?«, fuhr Lara auf.
»Nein, natürlich nicht.« Fiona sprach mit beruhigender Stimme auf sie ein. »Aber . . . verstehst du . . . Anke hatte keine Chance, eine Entscheidung zu treffen. Ein Betrunkener, der ihr entgegenkam, ist in sie reingefahren, als sie auf dem Weg zu mir war. Sie war sofort tot.«
Lara schloss die Augen. »Vielleicht ist es besser so«, flüsterte sie. »Maja hat sich ein ganzes Jahr gequält.«
»Aber ihr konntet zusammen sein. Wenn ich gewusst hätte, dass Anke sterben würde –«
»Was? Was hättest du dann getan? Mehr Sex mit ihr gehabt?« Lara starrte Fiona an.
»Darum geht es doch nicht.« Fiona verzog das Gesicht. »Streiten wir uns hier etwa darüber, welcher Tod der bessere ist?«
Lara wurde plötzlich bewusst, dass sie das taten. Für Lara gab es keinen schlimmeren Tod als Majas. Ihr Tod war der einzige Tod, mit dem Lara sich je hatte beschäftigen müssen, und er hatte ihr den Menschen entrissen, mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen. Nicht nur Maja war gestorben, ihr ganzes Leben war gestorben, ihre Zukunft, all ihre Gefühle außer dem einen, dem Schmerz.
»Du willst dich krankschreiben lassen?«, fragte Fiona, die sie die ganze Zeit beobachtet hatte, und nippte an ihrem Kaffee.
»Krankschreiben? Nein.« Lara runzelte irritiert die Stirn. »Ich habe doch gerade erst wieder angefangen zu arbeiten.«
»Aber du sagtest, du brauchst ein Attest.«
Einer von Laras Mundwinkeln hob sich leicht. »Ich nicht. Meine Chefin.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Arzt soll bestätigen, dass ich gesund genug zum Arbeiten bin und nicht«, sie lachte ungläubig auf, »magersüchtig.«
»Bist du’s?«, fragte Fiona über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg.
»Was?« Laras Augenbrauen zogen sich zusammen. »Warum denken das alle?«
»Vielleicht weil du so dünn bist?«
»Essen ist nicht wichtig«, sagte Lara. »Maja hat – Für sie habe ich gern gekocht. Seit sie nicht mehr da ist . . .« Sie schluckte.
Fiona nickte. »Verstehe. Anke und ich sind meistens essen gegangen, wir haben nicht zusammen gewohnt. Bevor ich sie kannte, habe ich von Tiefkühlpizza gelebt. Ich koche nicht.«
Laras Mundwinkel schienen zu zucken. »Warum überrascht mich das jetzt nicht?«
»Weiß ich auch nicht.« Fiona lächelte. Dieses Lächeln überraschte sie selbst. Warum fühlte sie sich auf einmal so wohl? Schon seit langer Zeit hatte sie dieses Gefühl nicht mehr gekannt. Sie räusperte sich. »Wenn deine Chefin sich solche Sorgen um dich macht, wie wäre es«, sie zögerte, »wie wäre es, wenn wir mal zusammen essen gehen würden? Ich spare eine Tiefkühlpizza, und du nimmst vielleicht etwas zu. Dann hält dich keiner mehr für magersüchtig.«
Lara spürte, dass Fionas Lächeln etwas in ihr berührte. Etwas, von dem sie geglaubt hatte, es wäre begraben. »Meine Chefin macht sich keine Sorgen um mich, sie hat nur Angst, dass sie ihre Briefe selbst tippen muss«, erwiderte sie brüsk, um das Gefühl, das Fiona in ihr erzeugt hatte, gleich wieder auszulöschen.
»Essen musst du trotzdem«, sagte Fiona. »Und ich auch. Es ist bald Mittag, und hier im Café gibt es ein Mittagsmenü. Wir müssen noch nicht einmal mehr woanders hingehen.« Sie hob fragend die Augenbrauen.
»Ah, deshalb hast du mich hierhergeschleppt. Gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.« Lara versuchte abweisend zu wirken, aber es gelang ihr nicht ganz. Sie fand Fionas direkte Art sehr erfrischend. Fiona war irgendwie so – lebendig.
»Also?« Fiona zeigte auf die Karte, die vor ihnen auf dem Tisch in einen Ständer geklemmt war. »Wollen wir?«
»Hat Anke dir manchmal gesagt, dass du wirklich lästig bist?«, fragte Lara.
Fionas Lächeln wurde breiter. »Ja, hat sie. Wir haben uns auf der Arbeit kennengelernt, beim Kurier . Sie hat in der Lokalredaktion gearbeitet und ich in der Druckerei. Ich bin Mediengestalterin. Sie brachte mir Fotos runter für einen Artikel, ich habe sie gefragt, ob sie mit mir essen geht –«
»Ach so, das
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