Der letzte Liebesdienst
den Kopf und versuchte den Gurt zu lösen, der sie bei jeder Bewegung behinderte. »Ich bin ganz langsam gefahren, und plötzlich war es, als ob jemand das Gas runtergedrückt hätte. Ich konnte nichts machen.« Misstrauisch musterte sie Marianne. »Warst du das?«
»Ich? Wieso denn? Ich hatte es nicht eilig«, antwortete Marianne.
»Das hätte ich ja auch merken müssen«, gab Fiona zu, »wenn du mir auf den Fuß getreten hättest.« Endlich hatte sie es geschafft, sich vom Gurt zu befreien, und stieg aus. »Schöne Bescherung«, murmelte sie.
Von der anderen Seite, hinter dem Wagen, den sie angefahren hatte, hörte sie ein Rascheln. Dann trat eine Frau im Abendkleid dahinter hervor.
Fiona konnte sie aufgrund ihrer Nachtblindheit nicht erkennen, aber kurz darauf trat eine zweite Frau dazu, kleiner, dasselbe Rascheln, aber ein anderes Abendkleid, und sagte: »Fiona? Was soll das denn?«
Lara. Fiona erstarrte. Das waren Lara und ihre Freundin, die große, entschlossen wirkende Frau. Fiona war ausgerechnet in sie hineingefahren. »Ich . . .« Fiona hob hilflos die Hände. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Plötzlich raste das Auto los –«
»Sie meinen, es war ein technischer Fehler?«, fragte die große Frau. Sie hatte eine angenehm tiefe Stimme, die jetzt allerdings etwas scharf klang.
»Keine Ahnung.« Fiona merkte plötzlich, wie ihre Knie weich wurden. Sie stützte sich am Wagen ab. »Ich kann es mir auch nicht erklären.«
»Normalerweise nimmt man in so einem Fall eher menschliches Versagen an«, stellte die große Frau fest. »Die meisten Gerichte lassen sich nur schwer von einem technischen Fehler überzeugen. Das muss hieb- und stichfest sein.«
»Wir sind noch nicht vor Gericht, Elisabeth«, warf Lara ein und trat auf Fiona zu. »Alles in Ordnung?«
»Ja.« Fiona nickte schwach. »Und bei dir?«
»Glücklicherweise ist das ein Volvo«, sagte Lara. »Seitenaufprallschutz vom Feinsten. Sonst wäre es vielleicht nicht so glimpflich abgegangen.«
»Ich werde Volvo einen Dankesbrief schreiben«, versuchte Fiona zu scherzen. »Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn dir etwas passiert wäre.« Sie verzog schief das Gesicht.
Marianne kam um den Wagen herum. »Du bist ja echt lustig. Du hättest mir vorher sagen können, dass du richtig blind bist nachts.«
»Blind?« Elisabeth hob die Augenbrauen.
Es hatte wohl keinen Sinn, jetzt wo Marianne es ausgeplaudert hatte. »Nachtblind«, erklärte Fiona. »Aber daran lag es nicht.«
»Dann hätten Sie gar nicht fahren dürfen«, erwiderte Elisabeth scharf. »Das ist fahrlässig.«
»Ich weiß.« Fiona nickte. »Normalerweise tue ich das auch nicht. Sie sollte fahren.« Sie zeigte auf Marianne.
»Sie ist betrunken«, stellte Elisabeth klar und eindeutig fest.
»Was Sie nicht sagen . . .« Fiona konnte sich kaum noch aufrecht halten. »Das war ja das Problem. Deshalb musste ich fahren.«
»Dann hätte keine von Ihnen fahren dürfen. Sie hätten sich ein Taxi nehmen sollen.« Elisabeth argumentierte juristisch, wie sie es gewöhnt war.
»Hätten wir wohl.« Fiona seufzte. »Aber nun ist es dazu leider zu spät.«
»Was hast du?«, fragte Lara besorgt und trat auf Fiona zu. »Ist doch nicht alles in Ordnung?«
»Ich glaube, der Gurt . . .«, keuchte Fiona leicht atemlos. »Tut ziemlich weh.«
»Du musst ins Krankenhaus«, sagte Lara. Sie schaute Elisabeth an, als erwartete sie ihre Zustimmung.
»Haben Sie Ihre Versicherungskarte dabei?«, fragte Elisabeth. »Die Autoversicherung.«
»Ja.« Fiona nickte und wollte ins Auto zurück.
»Warte«, sagte Lara. »Ich mach schon.« Sie kroch ins Auto hinein und holte die Unterlagen aus dem Handschuhfach. »Muss das wirklich sein?«, fragte sie Elisabeth ungnädig, als sie sie ihr übergab.
»Du weißt selbst, wie viele Fälle ich schon hatte, bei denen das versäumt wurde – und was für einen Aufwand das später verursacht«, bemerkte Elisabeth ruhig. »So wird es keine Probleme geben. Deine . . . Freundin braucht nur das Schuldanerkenntnis zu unterschreiben. Die Schuld liegt eindeutig bei ihr.«
»Zuerst muss sie ins Krankenhaus«, sagte Lara. »Vielleicht hat sie innere Blutungen. Willst du das verantworten?«
Elisabeth schaute auf Fiona. Nach einer langen Sekunde sagte sie: »Du hast Recht. Das wäre unterlassene Hilfeleistung.«
»Wie gut, dass du Juristin bist«, bemerkte Lara etwas sarkastisch.
»Wir müssen die Polizei rufen«, fuhr Elisabeth unbeeindruckt fort, als ob
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