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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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öffneten sich vor den staunenden Augen der Pilger die Türen zum Wunder der Hacienda Hidalgo, wo das Mädchen ohne Schatten in einem Meer aus Blüten auf sie wartete.
    Aus versteckten Lautsprechern klangen fromme Choräle, und zitternde faltendurchfurchte Hände klammerten sich an funkelnde Rosenkränze. Man bekreuzigte sich, rief Gott an und murmelte stille Gebete.
    Einige jener zwölf Pilger waren nicht zum ersten Mal hier.
    Denn dies war der Ort, an dem die Menschen der Umgebung sich Dinge vom Himmel erbaten. Die Besucherzahlen des Thronsaals ließen den Priester des Ortes schon beim bloßen Gedanken daran schaudern, und auch der Gedanke, dass Don Inigo auf dem Gelände eine Kapelle zu Ehren der heiligen Maria de Guadelupe zu errichten gedachte, behagte ihm wenig. Denn auch wenn Don Inigo den Gedanken von Gästehäusern auf der Hacienda der Drogengeschäfte wegen verworfen hatte, so hatte er doch noch einiges vor, um sich das Wohlwollen und die Mildtätigkeit der Gläubigen auch weiterhin zu sichern.
    Die Planung derartiger Vorhaben lag einmal mehr in den Händen von Alejandro Ruiz, der guter Dinge war, dass sein derzeitiger Arbeitgeber nicht wie die anderen vor ihm mit einer Kugel im Kopf am Straßenrand enden würde. Immerhin hatte Gott selbst seine Tochter gesegnet. Aber welche Pläne er auch immer anstrebte, zunächst einmal galt es nun, diese letzten Pilger an dem Kind vorbeizutreiben, ihnen den Klingelbeutel vorzuhalten und sie dann wieder in ihren Bus zu verfrachten.
    Unter seinen strengen Augen bekam jeder von ihnen seine halbe Minute mit dem Mädchen. Sie anzufassen war verboten. Es sei denn, man bezahlte extra. Ruiz blickte auf seine Uhr, die schwere Kopie einer goldenen Rolex, und winkte die Gläubigen durch. Er wollte so schnell wie möglich hoch auf die Terrasse, um das Geschäft mit Ballena zum Abschluss zu bringen. Obwohl er es selbst eingefädelt hatte, war Ruiz nicht recht wohl bei der Sache.
    Und das war auch der Grund, weshalb er, als er die Pilger kurz darauf zurück in ihren Bus verfrachtete, nicht bemerkte, dass es bloß noch elf waren.
    Auch der Fahrer scherte sich nicht darum. Der fehlende Pilger schien zu niemandem zu gehören, von niemandem vermisst zu werden. Die restlichen Businsassen stimmten mit La Sombra de Dios das einzige fromme Lied an, das sie alle kannten. Dann rollte der Bus schwankend auf das schwer bewachte Tor zu.
    Eine der Wachen bedeutete dem Fahrer anzuhalten und die Scheibe herunterzukurbeln. Er zog an einer selbstgedrehten Zigarette und funkelte den Mann im Bus zornig an.
    »Und? Haben sie diesmal auch nichts mitgenommen?«
    Der Fahrer schluckte. Er wollte keinen Ärger. Die Pilger waren zwar fromm und hatten großen Respekt vor Wundern, doch auf Kerzenleuchter, Tischfeuerzeuge und Dinge, die im Haus herumstanden, erstreckte dieser sich mitunter nicht. In der Vergangenheit war mehr als einmal etwas weggekommen.
    »Ich denke, die hier sind sauber. Hör’ sie singen. Denen reicht das, was sie gekauft haben.«
    Der Wächter legte den Kopf schief und lauschte in den Bus. Dann grinste er.
    »Don Inigo lässt ohnehin bloß noch das billige Geschirr stehen.«
    »Und eure T-Shirts sind teurer als im Hard-Rock-Café«, erwiderte der Fahrer schmunzelnd. Die beiden Männer lachten. Dann nickte Alejandro Ruiz den Wachen am Tor zu, der Bewaffnete trat zurück, und der Bus durfte passieren. Damit war die Arbeit des heutigen Tages getan.
    Die Angestellten würden die Blüten zusammenkehren, Mama Cervantes würde sich um das Kind kümmern, und er selbst würde den Rest der Nacht über die Verhandlungen Hidalgos und des Wals wachen.
    Zufrieden beobachtete er, wie sich das schwere Eingangstor schloss und die Wachen ihre Positionen auf den Türmen einnahmen, dann eilte er zurück ins Innere des Hauses, vorbei an den verzweigten Korridoren und geradewegs die Treppen in den ersten Stock empor.
     
    Eben darauf hatte der letzte Pilger nur gewartet.
    Kaum, dass Ruiz den letzten jener Korridore passiert hatte, huschte der Mann geduckt in den Hauptflur.
    Er war von mittlerer Größe, trug einfache graue Kleidung, eine kleine runde Brille mit Silberrand und hatte etwas beinahe Wieselhaftes an sich. Die langen Ärmel und der weite Pullover verdeckten seine Muskeln und die tätowierten Oberarme. Nichts an ihm wirkte sonderlich auffällig. Abgesehen von dem einzelnen schwarzledernen Handschuh, den er an seiner Linken trug. Wie schon vor einigen Jahren in Kutna Hora fiel er auch hier nicht weiter

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