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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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möglich blieb, würde ausreichen.
    Ihr Schatten glitt weiter durch das Zwielicht, ließ den Generator hinter sich und drang tiefer in den Flur. Bis hin zur Treppe, unter der eine verzogene Tür in eine kleine Kammer führte. Dort erspürte Mademoiselle Stinys Schatten im Dunkel das, was er suchte.
    Kurz darauf begann sich in jener Kammer unter der Treppe die Leiche des zahnlosen Tagelöhners zu regen. Von der Kraft des Schattens erfüllt, stemmte er sich ein letztes Mal Verwesung und Vergänglichkeit entgegen, schob den über ihm liegenden Kadaver seines Hundes beiseite und richtete sich langsam auf. Kalk löste sich von seinem Körper, dem blutverklebten Overall und dem löchrigen Holzfällerhemd, rieselte zu Boden und hinterließ eine dünne, weiße Spur, als er unbeholfen aus der Kammer kletterte und im wenigen Licht, das durch den Türspalt fiel, ungelenk den Flur hinab und in Richtung des summenden Generators wankte.
    Wenige Schritte später streckte der Tote die Hand nach dem Stromschalter aus. Das Summen erstarb, und der Schatten der Mademoiselle Stiny überließ den Körper wieder dem Tod. Beinahe lautlos sackte er neben dem Gerät zusammen.
    Im ersten Augenblick, als das Licht im Inneren des Würfels erstarb, stutzte das Eidolon. Von einem Moment auf den anderen war es von wohltuendem Dunkel umgeben. Sollte sein Entführer tatsächlich einen Fehler begangen haben? Oder war es womöglich eine Falle? Es spielte mit dem Gedanken, seinen Wirt für einen Moment zu verlassen. Aber was, wenn der kleine Körper es nicht aushielt und nicht überlebte? Das Eidolon wusste nicht, wie lange es brauchen würde, einen neuen Körper zu finden und unter seine Kontrolle zu bringen. Zumal Menschen nur langsam wuchsen … Es zögerte. Und dann spürte es mit einem Mal, dass es nicht mehr allein war. Irgendetwas war ins Innere des Würfels gedrungen. Ein fremder Schatten, der es umfloss und abtastete. Und dann vernahm das Eidolon aus ihm heraus die Stimme einer Frau.
    »Du hast dich gut entwickelt und eine ausgezeichnete Wahl getroffen, wie mir scheint. Ein kleines Mädchen. Als hätte dich der Genius des Alchemisten selbst geleitet. Dieser Körper ist vortrefflich geeignet. Die Menschen lieben ihn. Und sie werden nicht wagen, ihn zu zerstören, weil womöglich etwas Gefährliches darin nistet …«
    Das Eidolon bemerkte keine Feindseligkeit in den Worten der Fremden. Aus ihnen klangen nur Staunen und Bewunderung. Und zum ersten Mal, seit es in Freiheit war, versuchte das Eidolon sich an der Sprache der Schatten und nahm Kontakt zu einem auf, dem es zumindest ähnlich war …
    »Wer … bist … du?«
    »Wir haben keine Zeit, deine Fragen zu beantworten. Wenn er bemerkt, dass du nicht mehr im Licht gefangen bist, wird er herkommen. Aber ich habe einen Plan. Ich habe den Mann, der dich entführte, geschaffen, um ihn mit Wissen anzufüllen. Ich habe ihn mit den Rätseln der Schatten gemästet und für deine Ankunft vorbereitet.«
    »Was … soll … ich … tun?«
    »Er wird sterben müssen. Sein Schatten wird der deine werden, und dann bringe ich dich an einen Ort, wo du sicher bist.«
    »Wie … willst du … das machen?«
    »Ich habe Möglichkeiten. Ich habe das Wissen deiner Schöpfer studiert und beherrsche die Schatten wie sie. Ich habe dem Vater dieses Mädchens einen Traum gesandt und ihn wissen lassen, wo wir sind. Er ist gewiss schon auf dem Weg hierher, um dich zu holen. Er wird dich an einen fernen Ort in einem anderen Land bringen. Einen Ort, an dem die Schatten sicher sind.«
    »Er … wird … mich … nicht … fortlassen.«
    Das Eidolon wusste um den Wert Marias für ihren Vater. Sie war sein persönliches Wunder, und er betrachtete es als seine Berufung, dieses Wunder in Gold zu verwandeln. Für ihn war sie ein Zeichen dafür, dass Gott ihm verzieh, was er sonst tat. Maria war seine persönliche Vergebung. Er würde kommen, um sie zu befreien. Um sein Wunder zurückzubekommen. Gehen lassen aber würde er sie erst, wenn sie kein Wunder mehr darstellte … Und das wusste auch Madame Stiny.
    »Sorge dich nicht, es ist für alles gesorgt. Doch uns bleibt nicht viel Zeit. Ich habe nicht mehr viel Kraft, denn ich habe bereits den Jungen gerettet und das erste Siegel gebrochen, um uns den Weg zu ebnen. Wir müssen uns beeilen …«
     
    Wohltuende Dunkelheit durchströmte den kindlichen Körper und ließ das Eidolon in seinem Inneren erstarken. Die Bannzeichen auf dem Gelände scherten es nicht, denn es war aus einem

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