Der letzte Single fangt den Mann
er Mahlzeiten wahrscheinlich für heilig und möchte sie nicht mit Gesprächen übers Geschäft besudeln.
Ach, scheiß drauf.
» Also, André, worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
» Über Hongkong«, antwortet er. » Kommen Sie mit mir nach Hongkong.«
Ich bin sprachlos. Soll das eine Anmache sein?
» Wie Sie wissen, gehe ich bald nach Hongkong, um dort ein neues Regionalzentrum für Finanzanalysen aufzubauen. Ich möchte Sie gerne zur stellvertretenden Leiterin der Rechercheabteilung machen.«
Ich starre ihn ein paar Sekunden lang an. Eine Beförderung? In Hongkong?
» Ich… äh… weiß Suzanne, dass Sie mit mir darüber sprechen?«
» Nein, und ich möchte auch nicht, dass sie es erfährt«, erwidert er kühl.
Er beschreibt mir das Team, das er leiten wird, und die Rolle, die ich darin spielen würde. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. In meinem Gehirn herrscht Leere.
Fast völlige Leere.
Es ist mir zuwider, es zuzugeben, aber nach sechs Jahren in der Finanzbranche, nach sechs Jahren Arbeitsbeginn um sieben Uhr und langen Überstunden und aufgeschobenen Bonuszahlungen und nervösen Präsentationen und endloser Maloche ist der Erste, an den ich denke, als mir eine Beförderung angeboten wird, Dave.
» Was sagt ihr, wie nennt man das? Magengefühl?«
» Sie meinen mein Bauchgefühl?«, frage ich.
» Exactement«, antwortet er.
» Dass ich Zeit brauche, um darüber nachzudenken«, schwindele ich. Ich habe nicht einmal mein Bauchgefühl konsultiert, ich habe mir lediglich vorgestellt, wie ich es Dave sage und er mich bittet– vielleicht sogar anfleht–, nicht zu gehen, und mir sagt, dass er mich braucht und nicht ohne mich leben kann, dass ich die einzige Frau bin, die er jemals… Gott. Reiß dich zusammen, Abigail. » Außerdem muss ich erst ein paar Dinge abchecken«, sage ich und hole mein Notizbuch hervor. Ja. Sei positiv und vernünftig. Du analysierst hauptberuflich, also kannst du es auch privat. » Wenn Sie mir mehr verraten, kann ich meine eigenen Recherchen anstellen…«
» Okay. Wir treffen uns im Januar wieder, dann können wir alles genau besprechen.«
Er wirkt ein bisschen enttäuscht.
» Ich fühle mich wirklich geehrt, André. Ich bin begeistert, positiv überrascht.« Jemand gebe mir ein Adjektiv. » Danke. Es klingt unglaublich, unglaublich interessant, wirklich unglaublich.«
Netter Versuch.
André fährt fort, mir mehr über die chinesische Niederlassung zu erzählen, über die Leute, die momentan dort arbeiten, und über die wichtigsten Kunden. Ich mache mir fleißig Notizen und versuche, einen interessierten Gesichtsausdruck zu wahren.
» Ich hoffe, das motiviert uns beide. Ich habe Sie in den letzten beiden Monaten beobachtet. Suzanne, na ja, sie ist…« Er stößt ein Räuspern aus. » Ich denke, Sie brauchen mehr Freiheit, um das Beste aus sich herauszuholen. Ich möchte Ihnen gerne absolute Autonomie geben.«
» Das klingt wundervoll«, sage ich.
Und das tut es.
Die Frage, die ich mir stellen sollte, ist natürlich die, auf die ich nie eine Antwort habe: Will ich diesen Beruf überhaupt noch ausüben? Ich weiß es nicht. Was will ich? Ich will auf jeden Fall nicht darüber nachdenken…
Plötzlich wird meine Aufmerksamkeit auf zwei vertraute Gestalten gelenkt, die das Restaurant betreten, und eine Sekunde lang denke ich, ich halluziniere. Ich werfe rasch einen Blick in den Spiegel an der Wand, um ihre Gesichter zu mustern, und mir stockt der Atem.
Die beiden entfernen sich von uns und gehen in die andere Ecke des Restaurants, wo sie an einem Tisch Platz nehmen, der aus meiner Perspektive kaum einsehbar ist. Aber während die beiden sich dorthin bewegen, kann ich sie gut beobachten. Und es besteht kein Zweifel, wer das ist.
Dave und Bella.
Ich fühle mich, als hätte ich einen Tritt in den Magen bekommen. Ich kann nicht richtig atmen. Was macht er hier mit ihr? Sind sie plötzlich Freunde geworden? Ich dachte, die zwei verstünden sich nicht, Sie nicht auch?
» Abigail? Ist alles in Ordnung?«, fragt André.
Er lässt Messer und Gabel sinken und sieht mich besorgt an.
» Ja, alles okay«, sage ich und lege die Hand auf meine Stirn, um mein rasendes Gehirn zu beruhigen.
Der Schmerz verwandelt sich langsam in ein eisiges Gefühl, das sich in meinem Körper ausbreitet. Die beiden können mich nicht sehen, trotzdem würde ich am liebsten davonlaufen– vor ihnen, vor meinen Gedanken, vor der Arbeit, vor allem. Ich meine, was zum Teufel haben die zwei
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