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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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in dem nur ein Esstisch, zwei Stühle und ein Gasofen standen.
    In die andere Richtung führte der Flur in den Vorderteil des Hauses, wo die Zahnarztpraxis lag, die von der restlichen Wohnung durch offenbar erst kürzlich eingebaute Aluminiumtüren mit Milchglasscheiben abgetrennt war. Wenige Meter vor ihnen lagen zwei Türen einander gegenüber. Sie waren geschlossen.
    Die Jungen gingen darauf zu.
    Die linke Tür war nur angelehnt. Sie stießen sie auf und traten ein. Zwischen den Wänden waren von einem Ende des Raumes bis zum anderen Schnüre gespannt, an denen Röntgenbilder und Filmnegative hingen. In einer Ecke standen auf einem Bänkchen unter einem Wasserhahn zwei rechteckige Metallwannen, die bis zur Hälfte mit Flüssigkeit gefüllt waren. In einer schwamm ein Blatt aus dunklem Kunststoff. Eduardo nahm es heraus, betrachtete es im Licht der Taschenlampe und hielt es dann Paulo hin: Es waren Aufnahmen von einem Zahn mit einer langen Wurzel. Paulo warf es in die Flüssigkeit zurück.
    Die Tür des gegenüberliegenden Zimmers schien abgeschlossen zu sein, aber nachdem Eduardo ein paar Mal den Porzellanknauf gedreht und kräftig dagegengedrückt hatte, ging sie auf. Das Licht der Taschenlampe traf auf den Spiegel eines Frisiertisches, und sie sahen sich selbst: zwei Jungen in einem dunklen Haus, die nicht wussten, wonach sie auf der Suche waren.
    Einen Großteil des Raumes nahm ein breites, von einer grünen Frotteedecke bedecktes Ehebett ein. Gleich daneben stand an der Wand eine wurmstichige Kommode mit abgerundeten Kanten und mehreren Schubladen. Die marmorne Abdeckplatte war leer. Kein Heiligenbild an den Wänden. Über dem Bett kein Kruzifix. Auch keine Kopfkissen.
    Eduardo ging zum Frisiertisch. Er sah Kosmetikfläschchen, Puderdosen, Schwämme, Nagellackfläschchen und Parfümflakons. Sie waren nicht anders als die, die er vom Schminktisch seiner Mutter kannte. Bis auf die Farben: Der gesamte Lippenstift und Nagellack der ermordeten Frau war knallrot.
    Vorsichtig zog er nacheinander die vier Seitenschubladen auf. Er fand hier einen Kamm, dort ein paar Haarspangen, in einer anderen Schublade eine Haarbürste, ein Maniküreetui, ein paar Knöpfe, ein Nadelkissen, eine Schere, ein paar Münzen. Kein verräterischer Zettel, kein Brief und keine Nachricht.
    »Leuchte mal hierher, Eduardo.«
    Er drehte sich um und richtete die Taschenlampe auf seinen Freund. Paulo hielt mehrere ähnliche Wäschestücke in der Hand, die er aus der untersten Schublade der Kommode gezogen hatte. Er setzte eines davon auf den Kopf. Es sah aus wie eine doppelte Badekappe. Paulo grinste begeistert.
    »Das ist ein BH , Eduardo!«
    »Leg ihn zurück.«
    »Warum?«
    »Das ist Wäsche von der toten Frau.«
    »Hast du schon mal so viele B H s gesehen?«
    »Wühl nicht darin rum.«
    »Aber wir sind doch auf Spurensuche, oder?«
    »Ein BH ist keine …«
    Er brach ab und gebot seinem Freund mit an die Lippen gelegtem Zeigefinger Schweigen.
    »Was …?«
    Eduardo legte wieder den Finger an die Lippen. Er zeigte auf den Flur. Dort war ein flackernder Lichtschein aufgetaucht.
    Ein Lichtstreifen glitt über die Decke des Flurs, dann über den Boden. Noch eine Taschenlampe. Im Haus war noch jemand. Er musste Schuhe mit Gummisohlen tragen, denn sie hörten nichts als das dumpfe Knarren der alten Dielen, die in regelmäßigen Abständen belastet wurden. Kurze Schritte. Bedächtige Schritte.
    »Wer …?«
    Eduardo hielt Paulo den Mund zu. Die Schritte kamen den Flur entlang. Der Schein der anderen Taschenlampe bewegte sich auf das Zimmer zu, das sie gerade erst verlassen hatten. Dann lag der Flur wieder im Dunkeln.
    Sie hörten die Doppeltür des Schrankes quietschen, dann wurden die Kleiderbügel hin und her geschoben. Eduardo gab Paulo durch eine Kopfbewegung zu verstehen, dass sie verschwinden sollten, nahm ihm den BH aus der Hand und warf ihn zurück in die Schublade. Dabei erspähte er in der Ecke der Schublade eine rechteckige Schachtel. Er nahm sie in die Hand, unentschlossen, ob er sie öffnen oder mitnehmen sollte. Paulo richtete sich auf und griff nach der Schachtel. Ihr Inhalt ergoss sich über den Boden.
    »Pariser!«, rief er leise aus. Sein Bruder besaß genau die gleichen Latexpräservative.
    »So viele!«
    Er bückte sich, um ein paar davon aufzuheben, aber Eduardo packte ihn am Ärmel und zog ihn aus dem Zimmer. Im Bad half Paulo Eduardo zuerst, aus dem Fenster zu klettern. Dann stieg er selbst auf die Toilettenschüssel,

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