Der letzte Tag der Unschuld
war. Sie ging zum Plattenspieler, hob den Arm an und legte ihn auf die Ablage. Dann schaltete sie das Gerät aus. Der Alte trat neben sie, packte die Platte und wedelte damit vor ihrer Nase herum.
»Tosca erstach Scarpia, um ihre Ehre und ihre Liebe zu Mario Cavaradossi zu verteidigen. Sie können keinen dieser mildernden Umstände für sich in Anspruch nehmen, Madame Wizoreck.«
»Vorsicht, vieux dingue !«, rief sie. Sie hatte sich genügend französische Wörter angeeignet, um bei den leichtgläubigen Freiern früherer Zeiten als Französin durchzugehen und die Hinterwäldler zu beeindrucken, die ihr Hotel aufsuchten. »Das ist eine wertvolle Aufnahme, die in Brasilien nicht erhältlich ist. Il m’a pris plus d’un an pour l’obtenir ! Ich habe anderthalb Jahre darauf warten müssen, dass jemand sie mir besorgt!«
Nachlässig warf Ubiratan die Schallplatte auf den Haufen anderer Platten, die neben dem altmodischen Plattenspieler auf dem Tisch lagen.
»Wir waren am See.«
Hanna vergewisserte sich, dass die Schallplatte keinen Schaden genommen hatte, schob sie in die Hülle zu den anderen drei, aus denen das Album bestand, und klappte es zu.
»Es war nicht weiter schwer herauszufinden, was dort geschehen ist.«
Sie sah, dass das Trio vom Fenster, durch das sie hereingeklettert waren, bis zu ihr eine Dreckspur auf dem Teppich hinterlassen hatte. Ihre Hosen waren schlammbespritzt. Die Kleidung des Mulattenjungen war zerknittert.
»Dies hier ist kein Ort für Kinder«, sagte sie barsch und zeigte auf den schmutzigeren der beiden Jungen.
»Aber Sie hatten hier schon Mädchen, die nicht älter waren als die beiden«, erwiderte der Alte.
»Sehen Sie sich nur meinen Teppich an, der ist völlig versaut!«, rief sie, die Hände in die Hüften gestemmt. »Verschwinden Sie. Und nehmen Sie die Jungen mit. Sie haben kein Recht, in meinen Salon einzudringen. Ich möchte in Ruhe meine Musik hören.«
»Adolf Hitler war auch ein Opernliebhaber.«
»Blödsinn. Il aimait Wagner, il n’aimait pas la vraie ópera. Raus hier! Und die Jungen auch!«
Als sie sah, dass die drei keine Anstalten machten zu gehorchen, drohte sie: »Gehen Sie, oder muss ich Sie erst rauswerfen lassen?«
»Wir gehen von hier aus direkt zum Gefängnis, Madame Wizoreck.«
»Ganz genau, vieux dingue ! Ich werde dafür sorgen, dass Sie dort landen.«
»Wir gehen gemeinsam. Aber erst gestehen Sie Ihr Verbrechen.«
Sie ging zur Tür.
»Humberto! Humberto, komm mal bitte her!«
Paulo und Eduardo gingen an ihr vorbei und versperrten ihr den Weg.
»Was soll das denn? Habt ihr den Verstand verloren? Humberto!«, rief sie. »Humberto, hörst du mich nicht?« Sie wandte sich an Ubiratan. »Sagen Sie den Jungen, sie sollen mir aus dem Weg gehen.«
Ubiratan ignorierte die mit rollenden Rs vorgetragene Aufforderung.
»Aparecida wurde von einer Frau ermordet. Einer Frau, die diese Gewalttat nicht hätte begehen können, wenn sie nicht genauso groß und kräftig gewesen wäre wie ihr Opfer.«
»Humberto! Komm!«
»Einer Frau, die sie gut kannte. Die sie anrief und vorgab, sie habe etwas Wichtiges mit ihr zu bereden, weit weg von den neugierigen Blicken anderer. Außerhalb der Stadt.«
»Humberto! Ich rufe nach dir!«
»Einer Frau, vor der sie keine Angst hatte.«
»Humberto! Humberto!«, rief Hanna Wizoreck immer lauter und wollte den Salon verlassen.
Paulo lehnte sich gegen die Tür. Eduardo schloss ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche.
»Was machen Ihre Jungen denn da?«
»Aparecida wurde von einer Frau ermordet, der sie vertraute.«
»Nehmen Sie die Jungen da weg! Sagen Sie ihnen, sie sollen die Tür aufmachen!«
»Sie haben Aparecida belogen. Sie haben Aparecida betrogen. Sie haben Aparecida verraten.«
»Humberto!«
»Sie haben sich irgendwo getroffen, wo niemand Sie sehen konnte, dann sind Sie mit Aparecida zum See gefahren. Sie haben den Wagen gut versteckt im Mangohain geparkt. Aparecida ahnte nichts von Ihren mörderischen Absichten, bis Sie …«
Krachend flog die Tür auf, sodass die beiden Jungen zur Seite geschleudert wurden. Eduardo landete neben dem Sessel mit der hohen Rückenlehne. Paulo rollte Ubiratan vor die Füße, wobei er das Tischchen mit dem Plattenspieler und den Schallplatten anstieß, dass es wackelte.
»Humberto!«, seufzte Hanna, erleichtert über das Erscheinen ihres Leibwächters. »Schmeiß diese Leute hier raus!«
Der Hüne ging direkt auf Ubiratan los.
»Sie haben von allem gewusst!«,
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