Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
Glühbirne und alle Tageslichtsimulatoren waren eingeschaltet. Die Wohnungstür stand weit offen, für den Fall, dass er schnell ins Treppenhaus flüchten musste, um nach unten zu hetzen, wo er dann entweder panisch an die Tür seiner Nachbarin Jane klopfen oder einfach nur schreiend auf die Straße stürzen würde.
    Er saß im Schneidersitz vor dem Laptop und ging die Rohschnitte so schnell wie möglich durch, angefangen bei den Aufnahmen von der Clarendon Road und der guten alten Susan über den armen Gabriel auf dem Hof in der Normandie, bis zu Conway, dem Polizisten, Aguilar und Detective Sweeney und der traurigen Existenz von Martha Lake in ihrer heruntergekommenen Küche. London, Normandie, Arizona, Seattle: Kleine Einblicke in eine Geschichte, die sich über vierhundert Jahre erstreckte.
    Das Material war viele Stunden lang, aber er war inzwischen sehr gut damit vertraut. Alle Aufnahmen waren in den letzten zwei Wochen entstanden, und es handelte sich nicht um Dinge, die man schnell vergisst. Kyle hatte das gedrehte Material jeden Abend angeschaut und sich schon überlegt, wie die Szenen montiert werden sollten, während er unterwegs die Rohschnitte anfertigte. Der Aufbau war bereits in Blöcke gegliedert. Es gab einige abrupte Schnitte, aber Finger Mouse würde Sequenzen aus Kyles Rohmaterial einfügen und dem Ganzen eine geeignete Form für die Online-Präsentation geben. Der Übergang von einer Location zur nächsten würde mit Zwischentiteln erfolgen.
    Er überlegte sich schnell, wo er die kleinen Stücke einbauen wollte, die er mit Dan gedreht hatte, als sie in ihrem Motelzimmer gesessen und vor laufender Kamera über Max gesprochen hatten. Und während er sich die Aufnahmen ansah, merkte er, dass sein eigenes Gesicht immer abgehärmter, die Augen stumpf und seine Bewegungen fahrig wurden. Er war ein Wrack. Das alles sah jedenfalls nicht aus, als wäre es gefälscht. Gutes Material. Sein zufriedenes Grinsen war jedoch völlig unangebracht, das wurde ihm sofort klar. Sogar jetzt, in dieser katastrophalen Situation, hast du nichts dazugelernt.
    Der Ton war nicht immer grandios, und einige der in Frankreich gedrehten Sequenzen waren zu dunkel. Aber hier ging es um den Inhalt, nicht um die Form. Mouse hatte die Rohschnitte schon in seinem Avid-System und konnte die Tonqualität verbessern und angleichen. Das Endprodukt würde bestimmt keinen Preis gewinnen, aber es gab Teile, die so spannend waren, dass Kyle sogar beim Wiederanschauen Bauchschmerzen bekam. Damit würden sie sogar ein total unkonzentriertes Publikum faszinieren und zwar in weniger als vier Sekunden.
    So weit, so gut. Er nickte ein paar Mal beinahe ein, und als er pinkeln musste, ging er zum Badezimmer wie ein Betrunkener,
der sich in die Hose geschissen hatte. Aber er bearbeitete die Rohschnitte rasch und konzentriert, als verwaltete er seinen Nachlass. Danach würde Finger Mouse das Werk vollenden, ohne dass Kyle tagelang in seiner Souterrain-Wohnung neben ihm sitzen musste. Obwohl er, ehrlich gesagt, überhaupt nichts dagegen gehabt hätte, sich neben seinem Cutter zu langweilen.
    Als er fertig war, begann Kyle damit, den fertigen Schnitt auf die FTP-Site von Finger Mouse hochzuladen. Dafür benutzte er seinen Desktop-Computer. Währenddessen setzte er sich auf sein Sofa, auf der einen Seite den Hammer, auf der anderen die Flasche Jack Daniels, und tippte seine Notizen und die Time-Code-Liste, die er in sein Notizbuch geschrieben hatte, in den Laptop. Als er fertig war, schickte er das Dokument per E-Mail an Finger Mouse, ohne noch etwas daran zu ändern, in der Hoffnung, dass er trotz seiner tränenden Augen nicht allzu viele Tippfehler eingebaut hatte. Außerdem instruierte er Finger Mouse, seinen Schnitt in spätestens drei Tagen auf jede freie Filmplattform, die ihm bekannt war, zu stellen.
    Vielleicht passte diese Art des Vertriebs sowieso am besten zu diesem Projekt und zu seiner Rolle als totaler Außenseiter des Filmgeschäfts. Blair Witch ist nichts dagegen, Leute. Das hier ist keine Fälschung. Das hier ist so tödlich wie die schwarze Pest. So viele Leute wie möglich sollten diesen Film sehen, am besten drei Viertel aller Menschen, die auf diesem Planeten lebten. Aber an diesem Punkt hörte er auf, sich weiter in seinen Größenwahn zu steigern. Stattdessen aß er vier Löffel braunen Zucker, um weiter wach zu bleiben. Um 4.30 Uhr stellte er die Kamera, mit der er seinen ersten kommerziellen Film gedreht hatte, eine Canon XHA,

Weitere Kostenlose Bücher