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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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gegenüber sie sich zumindest verpflichtet fühlte, würde sie als Chef respektieren. Und das musste vielleicht nicht einmal diese Person selbst sein. Das konnte genauso gut deren Sohn sein.
    »Dieser Mann – hieß der zufällig Hung?«, fragte Ly.
    »Hung?«, fragte Bang. »Ja, ich glaube, das war sein Name.«
    Ly saß noch einen Moment bei Bang und seinem Vater und lauschte der Stille, die in seinen Ohren zu rauschen schien. Er konnte das alles nicht glauben. Wie hatte er sich so täuschen lassen können?
    Bevor er aufbrach, wandte er sich noch einmal an Bang.
    Der Junge war schon fast wieder eingeschlafen. Aber eines musste Ly noch von ihm wissen. »Wieso bist du alleine in den Wald gegangen?«
    Der Junge sah auf seine Finger und zog die Schultern hoch.
    »Du musst doch einen Grund gehabt haben«, setzte Ly nach.
    »Na ja. Erst habe ich diese Fotos von den Käfigen auf Ihrem Schreibtisch gefunden«, sagte Bang leise, ohne Ly dabei anzusehen. »Und dann haben Sie mir erzählt, Ihr Freund ist ermordet worden. Kurz nachdem er bei uns in Na Cai war.«
    »Moment«, fuhr Ly dazwischen. »Ich habe nie gesagt, dass es Mord war.«
    Bang verzog sein Gesicht. »So blöd bin ich auch nicht. Wenn es kein Mord war, wieso sollten Sie dann ermitteln?«
    Ly seufzte. Ja, da war etwas dran. »Okay, du hast ja recht«, sagte er. »Du hast also die Käfige auf den Fotos gesehen. Und du wusstest, wo sie stehen. Und dann hast du das mit dem Tod meines Freundes in Zusammenhang gebracht.«
    Bang nickte.
    »Wusstest du auch, dass da oben bei euch Tiere geschmuggelt werden? Dachtest du, dein Vater ist darin verwickelt? Aber warum dann der Film?«
    »Nein!«, rief Bang erschrocken auf. »Ich wusste nichts von Schmuggel. Und mein Vater war doch auch gar nicht in Hanoi. Er hätte niemals …«
    »Schon gut. Dein Vater hat Truong nicht umgebracht, das weiß ich auch. Aber warum bist du in den Wald gegangen, um die Käfige zu filmen? Du hättest doch gleich mit mir reden können«, sagte Ly.
    Bang sah Ly schuldbewusst an. »Ich wollte nicht, dassSie wissen, dass ich auf Ihrem Schreibtisch rumgewühlt habe.«
    *
    Am nächsten Morgen war Ly früh im Krankenhaus. Thuy war schon wach und saß in ihrem Bett. Ihre Wangen hatten wieder etwas Farbe. Ly hatte ihr banh cuon , mit Hack und Pilzen gefüllte Reiscrêpes, mitgebracht. Im Krankenhaus wurde kein Essen verteilt, dafür mussten die Angehörigen sorgen. Er stellte den Teller auf den Nachttisch, gab Thuy einen Kuss und umarmte sie sacht. Er hatte Angst, ihr weh zu tun.
    »Das riecht gut«, sagte sie und ließ sich von ihm die banh cuon reichen.
    »Willst du auch etwas trinken? Ich kann Tee holen.«
    »Später.«
    »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Ly.
    Thuy sah ihn stirnrunzelnd an. »Wieso das?«
    Er strich ihr eine lange Haarsträhne hinter das Ohr und sah sie eine Weile schweigend an. Dann sagte er: »Ich liebe dich«. Es hörte sich seltsam an, er konnte sich nicht erinnern, wann er ihr das zuletzt gesagt hatte. Thuy lächelte. Er gab ihr einen Kuss und begann zu erzählen: von seiner Ermittlung, von den Todesfällen, die er für Mord hielt, von dem Anschlag auf Bang und dem angeschnittenen Bremsseil, das den Unfall verursacht hatte. Er redete sich diesen ganzen verfluchten Fall von der Seele, etwas, das er sonst nie tat. Einzig seinen Verdacht, wer hinter all dem stand, sprach er nicht aus. Als er fertig war, sah er Thuy unsicher an. Er hatte keine Ahnung, wie sie auf all das reagieren würde.
    »Danke«, sagte sie.
    »Danke?«, fragte er irritiert.
    »Weil du mich mal mit einbeziehst.«
    Er fuhr ihr mit den Fingerspitzen sacht über ihren verletzten Arm. »Ich hätte dich da lieber rausgehalten.«
    »Aber so lebst du zumindest noch«, sagte sie. »Ist doch auch ganz gut.«
    »Auch wahr«, sagte er mit einem Lachen.
    »Und jetzt? Was hast du vor?«
    »Tu ist an dem Hintermann dran. Für heute ist diese Lieferung geplant. Da greifen wir zu«, sagte Ly. »Tu und Lan übernehmen das.«
    Ein Schmunzeln huschte um ihre Mundwinkel. »Ohne dich?«
    »Die schaffen das schon.« Ly merkte selbst, wie unsicher er klang.
    Thuy schlug ihm mit der Hand ihres gesunden Armes scherzhaft gegen die Stirn. »Du hältst es doch gar nicht aus, nicht selbst auf die Jagd zu gehen. Los, hau ab. Ich komme schon klar.«
    *
    Zwanzig Minuten später rannte Ly die Stufen in den zweiten Stock des Präsidiums hinauf und riss vollkommen außer Atem die Tür zu Lans Büro auf. »Und? Gibt’s schon was Neues?«
    Lan

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