Der letzte Vampir
war sie davon überzeugt gewesen, dass sie am besten für die Vampirjagd geeignet war, weil sie seinen Bericht gelesen hatte. Später hatte sie geglaubt, er würde sie zur Nachfolgerin ausbilden wollen. Als er sie zu den Polders brachte, war sie ernsthaft davon überzeugt gewesen, dass er sie beschützen wollte, dass er um ihre Sicherheit besorgt war – aber nach ihrem Versagen bei der Jagdhütte hatte er sie einfach abgeschrieben. Sie verstand gar nichts mehr. Sie begriff nicht, warum er sie einmal schätzte und dann wieder missachtete. Warum er sie einerseits beschützte, es ihm aber andererseits völlig egal zu sein schien, ob sie verletzt wurde.
»In der Nacht, in der ich den Fall übernahm«, sagte er mit neutralem Gesichtsausdruck, »in der Nacht, in der wir uns kennenlernten, verfolgte Sie ein Halbtoter nach Hause.«
Sie verstand auch nicht, was das jetzt zu bedeuten hatte. »Ich erinnere mich.«
»Sie waren vor mir an dem Fall dran. Sie waren ein Teil davon. Die Vampire kennen Sie, und sie wollen etwas von Ihnen. Ich wäre ein Narr, Sie aus den Augen zu lassen.«
Ihr fiel wieder ein, was er über Hazlitt gesagt hatte. Wenn jemand entschlossen ist, ein Feind zu sein, dann gib ihm genau das, was er will. Die Vampire wollten sie. Sie wollten sie verschlingen, auf die eine oder andere Art. Also wurde er ihnen mit ihr vor dem Rachen herumwedeln, damit er nahe genug an sie herankam, um sich auf sie stürzen zu können.
»Darum geht es …?«, fragte sie. In ihr öffnete sich ein Loch. Die ganze Zeit, die sie mit dem Versuch verbracht hatte, sich zu beweisen, ihn zu beeindrucken … alles nur Verschwendung.
»Darum geht es«, sagte er. Er öffnete die Wagentür und stieg ein. Sie ließ ihn gehen.
Sie war ein Vampirköder. Das war alles. Mehr nicht.
Sie sah ihm hinterher, als er losfuhr. Sie hatte keine Ahnung, wo er hinwollte. Vielleicht wollte er sich das Umspannwerk allein ansehen, vielleicht wollte er Efrain Reyes exhumieren. Vielleicht wollte er sie auch nicht um sich haben. Vielleicht befürchtete er, sie wäre wütend.
Und das war sie. Und verwirrt. Und traurig. Und verängstigt. Und ein kleines bisschen erleichtert.
Erleichtert, weil sie endlich herausgefunden hatte, wie sie in diesen Fall hineinpasste. Weil sie jetzt ganz genau wusste, wo sie bei Arkeley stand.
Sie holte ihren Wagen und fuhr nach Hause. Ihr überarbeitetes Gehirn wurde durch das Geräusch der über den Asphalt rauschenden Reifen und dem auf- und abschwellenden Dröhnen des Motors ein wenig besänftigt. Sie rieb sich die Augen und blinzelte häufig, als würde sie gleich losheulen, aber das tat sie nicht. Sie konnte nicht einmal sagen, warum sie damit rechnete. Von den vielen Gefühlen, die in ihr tobten, stach keins stark genug hervor, um eine derartige Überreaktion zu rechtfertigen.
Sie hatte Hunger, und sie wusste, dass er groß sein musste, wenn er mit ihren ganzen anderen Sorgen mithalten konnte. Sie parkte vor einem Lokal in Reading, wo sie gute Käsesteaks machten, und bestellte einen »Wit Wiz«, was bedeutete, dass sie Zwiebeln und Cheese Whiz haben wollte, die üblichen würzigen Zutaten. Sie setzte sich mit einer Cola light und ihrem Steaksandwich in eine Nische und aß. Es tat gut, aber ihre Gedanken schweiften umher, und ihre Zunge hörte auf, etwas zu schmecken. Sie hatte zur Hälfte aufgegessen, ehe sie anfing, über das wahre Problem nachzudenken. Eigentlich hätte sie von Panik erfüllt sein und in Tränen ausbrechen müssen.
Die Vampire wollten sie. Für etwas ganz Bestimmtes, etwas, das mit ihrem Leben zu tun hatte. Der Halbtote, der ihr in der ersten Nacht nach Hause gefolgt war, sollte eine Mission erfüllen. Aber welche Mission? Sollte er sie bloß erschrecken? In diesem Fall hatten sie Erfolg gehabt. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Vampire Zeit damit verschwenden würden, ihr einen Schrecken einzujagen.
Mit einer gewissen Verzweiflung ließ sie noch einmal alles Revue passieren, suchte nach irgendetwas, das das Interesse der Vampire erklären konnte. Sie dachte an frühere Fälle, die sie bearbeitet hatte, aber da gab es nichts Bemerkenswertes. Sie arbeitete bei der Highway Patrol – wieso sollte das für Malvern und ihre Brut relevant sein? Sie versuchte sich an die Autounfälle zu erinnern, die sie erlebt hatte, versuchte irgendeine Verbindung herzustellen, aber ihr fiel nichts ein. Sie hatte ein paar Leute wegen Trunkenheit am Steuer oder wegen Drogenbesitz ins Gefängnis
Weitere Kostenlose Bücher