Der letzte Vorhang
das Ensemble.
»Bonnie!« schrie Mort. »Schatz! Bleib, wo du
bist. Onkel Mort kommt zu dir.«
Wetzon verdrückte sich. Sie hatte gerade das
blonde Kindermädchen gesichtet, das sich von JoJo vor aller Augen betatschen
ließ, stellte sich hinter sie und flüsterte: »Sie sollten sich lieber zu Maudie
bequemen, weil im Kinderzimmer etwas Unschönes vor sich geht.«
Das Kindermädchen schaute sich nervös um, riß
sich von JoJo los und eilte, unsicher auf den Pfennigabsätzen, auf die Treppe zu.
Im Eßzimmer beluden einige Nachzügler ihre
Teller. Wetzon nahm eine Scheibe Süßkartoffelpastete und eine Tasse Kaffee,
dann sah sie sich nach einem Platz zum Sitzen oder Anlehnen um. Sie zwängte
sich in eine Ecke neben den Glastüren, nur wenige Schritte von der Stelle, wo
Smith und Joel mit Neil Simon sprachen, und versuchte, Smith’ Aufmerksamkeit
auf sich zu lenken.
Smith machte einen seltsamen Eindruck. Sie
redete angeregt, hatte aber die dunkle Brille nicht abgesetzt. An ihrem Kinn
sah man eine kleine Verfärbung, sorgfältig überdeckt mit Make-up. Hatte Joel
sie geschlagen? Irgendwie unwahrscheinlich. Hartmann dagegen, das war eine ganz
andere Geschichte.
Twoey, der mit Kopf und Schultern alle
überragte, winkte Wetzon zu und versuchte, sich zu ihr durchzuschlängeln. Seine
Augen funkelten hinter den Brillengläsern. Er sah sehr glücklich aus. »Da bist
du ja, meine Hübsche«, sagte er und gab ihr einen Kuß. »Ich habe dich gesucht.«
»Ja, da bin ich«, sagte sie.
»Bist du niedergeschlagen, Leslie? Das darfst du
nicht sein. Das lasse ich nicht zu.« Twoey nahm ihr den Teller aus der Hand und
gab ihn einem Kellner, der mit einer leeren Champagnerflasche an ihnen vorbei
in die Küche ging. Dann steuerte er sie mit einem Arm um ihre Schultern zu
Smith und Joel Kidde hinüber.
»Zenie!« sagte Twoey, indem er Smith herumdrehte
und ihr einen herzhaften Kuß auf die Lippen gab. »Warum die Sonnenbrille?«
Smith rückte die dunkle Brille zurecht und
schürzte die Lippen. »Schatz«, sagte sie.
»Hmhm«, meinte Twoey. »Jetzt habe ich ein großes
Problem.« Er sagte es leichthin, sah Wetzon aber fragend an.
»Wir haben uns gerade über Engel in Amerika unterhalten«, erklärte Joel.
»Aha«, sagte Twoey. »Rocco hat es mir erzählt.
Er hat sein Darlehen zurückbekommen, aber die New Yorker Produktion hat über
sechshunderttausend Verlust gemacht.«
»Ich habe ihnen geraten, es in einem Haus mit
elfhundert Plätzen zu spielen, aber sie wollten nicht auf mich hören. Was
verstehe ich schon davon? Ich bin bloß Agent«, sagte Joel.
»Mehr als ein Agent«, murmelte Smith.
Twoey starrte sie einen Moment an, dann sagte
er: »Das Walter Kerr war das falsche Theater. Es hat nur
neunhundertfünfundvierzig Plätze, im zweiten Rang möchte niemand sitzen, und
die Bühne hat für das ganze Bild zu wenig Tiefe.«
Als sich der Produzent Marty Richards zu ihnen
gesellte, stahl sich Wetzon unbemerkt davon. Sie folgte den Kellnern durch die
Pendeltüren in die Küche. Ein Mädchen stand an der Spüle und wusch Teller ab,
ein anderes holte Pasteten aus dem Ofen. Jemand schnitt einen Schinken auf; ein
anderer kratzte Reste in einen gewaltigen grünen Abfallsack.
Die Küche war riesig; ringsum weiße Schränke mit
Glastüren, Granittheken und eine Kochinsel in der Mitte waren die anderen
herausragenden Merkmale. Auf der einen Seite ging eine Speisekammer von der
Küche ab, auf der anderen Seite eine Frühstücksnische mit einem Fleischerblock
als Tisch und vier Stühlen. Unter dem Fenster in der Frühstücksnische befand
sich ein gepolsterter Fenstersitz, der nicht einsehbar war, wenn man nicht ganz
in den Raum trat. Hier fand Wetzon Poppy Hornberg.
Poppy saß mit hochgezogenen Knien auf dem
Fenstersitz, in Linda Gray Sextons Autobiographie vertieft. Ihre Finger
beförderten kaltes Truthahnfleisch von einem Teller neben ihren Füßen zum Mund;
die andere Hand spielte mit Haarsträhnen. Die Buchseiten waren mit Fett und
Truthahnresten verschmiert, ebenso das Oberteil ihres schwarzen Samtkleids von
Laura Ashley. Sie trug kein Make-up. Die Frisur wirkte auf Wetzon, als ob Poppy
die nassen Finger in eine Steckdose gesteckt hätte. Sie blickte auf, als Wetzon
ihren Namen rief.
»Oh, hallo, Leslie.« Ihre Stimme drückte keine
Freude aus.
»Du versteckst dich?«
»So könnte man sagen. Es ist gewiß nicht meine Vorstellung
von Vergnügen — die vielen fremden Leute, die mich nichts angehen und denen ich
in meinem eigenen
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