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Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Titel: Der letzte Wille: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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klauen waren, besaßen einen exakt definierbaren Wert.
    Paddy weinte. Sie wusste nicht weshalb, sie wollte es gar nicht, aber ihre Augen schmerzten und brannten, ihr Gesicht glühte, Tränen tropften ihr vom Kinn. Es wurde so schlimm, dass sie kaum noch etwas sehen konnte.
    Sie bog auf einen leeren Parkplatz ein, schaltete die Scheinwerfer aus und blieb sitzen, starrte tränenblind hinter dem Lenkrad hervor, weinte immer noch, verwirrt und wütend auf sich selbst. Sie kurbelte das Fenster herunter und streckte den Kopf heraus, hoffte, die frische Meeresluft würde ihr die Traurigkeit aus dem Gesicht fegen. Von hinten schlich sich die Sonne an, goldgelb und höhnisch grell.
    Eine fette Möwe zog knapp über das Autodach hinweg und landete neben dem Wagen. Mit fiesen Augen starrte sie Paddy von der Seite an, schnappte hungrig mit dem Schnabel. Sie war verdammt riesig. Paddy zog den Kopf wieder ein und kurbelte die Scheibe hoch. Draußen schnappte die Möwe noch einmal enttäuscht in die Luft, drehte sich um, breitete die langen Flügel aus und flog davon.
    Sie sah auf den Beifahrersitz. Regal und Bru.
    Paddy und Terry hatten, als sie jung und ein Paar waren, zum Frühstück Embassy Regal geraucht und Irn-Bru getrunken. Sie hatten auf Terrys schmutzigem orangefarbenem Bettzeug gesessen und ihre Dosen geschlürft, einander die Kippe gereicht und über die Leute in der Redaktion gelästert. Damals kam ihnen alles blöd vor. Die Redakteure und die älteren Journalisten waren Relikte aus der Steinzeit und die Bibliothekarin Helen war eine statusbesessene Idiotin. Sie sonnten sich in ihrem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit und Bedeutung. Genau genommen hatte Paddy nie daran geglaubt, aber sie hatte sich ein bisschen was von Terrys grenzenlosem Selbstvertrauen geborgt. Damals sah er gut aus, war kräftig, aber nicht dick, hatte dunkle Augen. Wenn er saß, hielt er die Knie zusammen und spielte nachdenklich an einem Ohr.
    Sie fing wieder an zu weinen. Wie jung er damals war, und ihr war gar nicht aufgefallen, wie einsam er gewesen sein musste, als er in dem billigen Zimmer gelebt und sich das Badezimmer mit Nachbarn geteilt hatte, die er gar nicht kannte. Sie selbst hatte immer ihre Familie gehabt, war in deren Geschichte und Bedürfnissen gefangen. Terry war ihr immer wunderbar frei vorgekommen – nicht allein, nicht verlassen. Sie dachte daran, wie einsam er gewesen sein musste, um sie als nächste Angehörige einzutragen, obwohl sie nicht einmal mehr seine Anrufe erwiderte.
    Der Zigarettenanzünder glühte rot und als sie sich eine Kippe daran anzündete, spürte sie seine Wärme an der Nasenspitze. Das Nikotin prickelte ihr bis in die Zehen, und sie blies den Rauch aus. Flach und kreisförmig waberte er über die Windschutzscheibe.
    Sie zwinkerte und sah wieder Terrys Kopf vor sich, seine Haare, seine schönen schwarzen Haare.
    Neulich bei Babbity’s im Gedränge an der Bar hätte sie mit ihm sprechen sollen. Sie hätte nicht davonlaufen dürfen, aus Angst, er würde ihr eine Szene machen. Sie hätte zu ihm hingehen und sich dafür entschuldigen müssen, dass sie ihn in Fort William hatte sitzenlassen, hätte ihm die Arme um die schönen Schultern legen und ihn küssen sollen, seine Lider, seinen Mund und ihm sagen sollen, dass er geliebt wurde, dass sie ihn liebte. Sie liebte ihn. Jemand liebte ihn.
    Zwei Zentimeter graue Asche fielen ihr in den Schoß und brachen auseinander. Sie wischte sie mit einer hastigen Bewegung weg.
    Die Möwe war wieder da und betrachtete den Wagen, als würde sie sich überlegen, ihn zu attackieren.
    »Verpiss dich«, murmelte Paddy und fuhr sich über das nasse Gesicht.
    Die Möwe blieb sitzen, also hupte Paddy zweimal, was den Vogel zwar kurz aufschrecken ließ, aber auch seine Neugier weckte. Er landete wieder und betrachtete sie mit zuckendem Kopf.
    Etwas an der Gegend ließ sie an Shadow of Death denken, das Buch, das sie über einen Justizirrtum der Sechzigerjahre geschrieben hatte. Der Fall hatte sie ihr Leben lang verfolgt, schon weil der Täter genauso hieß wie sie. Sie war Journalistin geworden, weil der Mann, der die Kampagne zu seiner Befreiung leitete, ebenfalls zur schreibenden Zunft zählte, und schließlich hatte sie sogar den Mann selbst kennengelernt, dessen Geschichte sie in der Presse verfolgt hatte. Patrick Meehan war als Mörder verurteilt worden und sehr verbittert. Er behauptete, die Geheimdienste hätten ihm den brutalen Mord an einer Rentnerin angehängt, um sich

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