Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
abspringen, aber das hatte sie alles nicht gemacht. Sie erlaubte sich zu essen und es war eine Freude. Sechs Kilo hatte sie dadurch zugenommen, aber dann hatte sich ihr Gewicht auf diesem Niveau eingependelt. Sie war nie dicker gewesen, aber auch noch nie zufriedener. Ekel überkam sie nur noch manchmal, wenn sie die Treppe hochrannte und ihr Hintern schwabbelte oder sich ihr Bauch beim Hinsetzen zu einem dicken runden Kissen auswölbte. Und sie hasste es, dass sie die Klamotten, die ihr gefielen, nicht kaufen konnte, weil sie nicht hineinpasste. Aber das Vergnügen, ungezügelt essen zu dürfen, machte dies mehr als wett.
Sie sah zu den Aktenordnern oben auf dem Regal. Dort hatte sie die alten vergilbten Zeitungsausschnitte von Terrys Artikeln aufbewahrt. Als sie noch große Hoffnungen in ihre Beziehung setzte, hatte sie gedacht, dass sie sie ihm eines Tages zeigen wollte. Sie würde sie herausholen und ihm gestehen, dass sie jeden seiner Schritte verfolgt und er ihr immer viel bedeutet hatte. Sie könnte sie jetzt herunterholen und seine Artikel aus Liberia durchgehen, nachsehen, ob es dort irgendwelche Anhaltspunkte gab oder Konflikte mit der Regierung, die seinen Tod erklären würden. Aber Kevin lag falsch. Der Konflikt in Liberia war landesintern. Die Machthaber dort bekamen so viel Geld von der CIA, dass sie es nicht riskieren würden, einen Journalisten zu töten und die amerikanischen Banken zu verschrecken.
Das zaghafte Klopfen an der Tür war eine willkommene Unterbrechung. Sie stand auf und ging leichtfüßig zur Tür, erwartete einen freundlichen Nachbarn, einen Evangelisten oder im schlimmsten Fall einen Journalisten auf der Jagd nach Ogilvy.
Der Mann vor der Tür war klein, strohblond, trug einen ordentlichen blassblauen Pullover über einem weißen T-Shirt, beigefarbene Stoffhosen und eine eckige Brille mit Metallgestell. Sie hielt ihn für einen Anwohner, der Unterschriften wegen der Parkplätze sammelte.
Sie öffnete den Mund, um Hallo zu sagen, aber der Ausdruck in seinen Augen ließ sie innehalten. Seine Augen waren kalt, emotionslos. Das vorstädtisch Adrette seiner Erscheinung diente bloß der Tarnung, die Bügelfalten in seiner Hose wirkten plötzlich messerscharf.
»Paddy Meehan?« Er war Ire. Er sprach schnell und leise, sie konnte nicht feststellen, ob es ein nord- oder südirischer Akzent war.
»Wie bitte?«
»Sind Sie Paddy Meehan?«
Das ungute Gefühl begann zwischen ihren Schulterblättern; ein heißes Beben, das durch ihre Müdigkeit zweifellos verstärkt wurde und sich bis in ihre Arme ausbreitete, in ihren Hals und ihre Kehle. In Gedanken ging sie die Wohnung durch, wanderte von Petes leerem Bett zu den Messern in der Küchenschublade und dem säbelförmigen Brieföffner auf dem Schreibtisch.
Er lächelte kalt, eine grinsende Schlange. »Wissen Sie nicht, wer Sie sind?« Sein Atem roch sauer, vermischt mit schalem Zigarettenrauch.
»Äh, die ist gerade nicht da«, sagte Paddy. »Ich überlege, wann sie zurückkommt.«
Das Lächeln wurde breiter, aber nicht freundlicher. »Sie sind es selbst. Hab Sie erkannt. Hab Sie im Fernsehen gesehen.«
Sie lächelte zurück, überzeugender als er, wie sie hoffte. »Sind Sie ein Fan?«
»Nein, nein, nein.« Er ließ den Kopf auf die Brust fallen und steckte die Hände in die Taschen. Offenbar hielt er es nicht für nötig, sein Anliegen näher auszuführen.
»Und …?«
Er grinste seine Schuhe an. Das düstere gelbe Licht im Gang spiegelte sich in seinen Brillengläsern. »Sie haben wegen Terry angerufen? Behauptet, Sie wären eine Familienangehörige. Darf ich reinkommen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, bewegte er sich auf die Tür zu, trat ein, schob sich in den Flur und schloss die Tür hinter sich.
Im ganzen Haus brannte noch immer kein Licht. Die Schreibtischlampe in ihrem Büro warf einen Lichtkegel vor die Zimmertür und tauchte den Rest des Flurs in Dunkelheit. Sie standen dicht beieinander.
»Wie heißen Sie?«
Er lächelte wieder mit kalten Augen. Seine Hände glitten aus den Taschen und er hob sie schulterzuckend. »Sie haben wegen Terry angerufen und gesagt, Sie seien eine Familienangehörige.«
Sie dachte an Pete und rasende Wut überkam sie, sie griff an die Haustür, riss sie auf, sodass sie laut von der Wand abprallte und den Putz dahinter beschädigte.
Draußen näherte sich Steven Curren. Er hielt inne und sah sie verdutzt an. »Ach«, sagte er. »Tut mir leid. McVie hat mich noch mal hergeschickt.«
Paddy
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