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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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wird?«
    »Nein. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
    »Was passiert hier?«
    »Wir müssen es stoppen. Das muss passieren. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht noch einmal geschieht.«
    »Wie wollt ihr das anstellen?«
    Das war eine gute Frage, die beste Frage des Abends. Die Zehntausend-Kronen-Frage, die aktuell eine Million wert war.
    Gerda Hoffners Weihnachtsnacht im Zeichen des Alkohols kam gut voran. Kurz bevor der Weihnachtsmorgen dämmerte, war einmal mehr bewiesen worden, dass Schweden immer noch fest im Branntweingürtel verankert war, trotz der Einflüsse von Weingürteln rundum auf der Erde. Denn Branntwein schmeckt himmlisch, schmeckt immer besser, je mehr man trinkt, und wenn man zu Boden geht, so gegen ein Uhr, fällt man verdammt hart. Kurz nach Mitternacht mussten sie einen armen Säufer hinausschaffen, der irgendwo in seiner Wohnung gestürzt war und im Fallen seine Frau mitgerissen hatte. Ein fetter Kerl mit schlaffen Gelenken, ihn die Treppen hinunterzubugsieren war, wie einen zentnerschweren, mit Styroporkugeln gefüllten Sitzsack zu tragen. Gerda Hoffner versuchte die Berührung mit dem Blut zu vermeiden, das von seinem Kopf tropfte. Die Frau war unverletzt, außerdem relativ nüchtern. Ich bleibe hier und halte die Stellung, wie sie es ausgedrückt hatte.
    Beim nächsten Alarm ging es um eine randalierende Jugendbande, die auf einem Schulhof mitten in einem Wohngebiet im Westen die Sau rausließ. Einige hatten Raketen und Knaller, obwohl es noch viele Tage bis Silvester waren. Als Johnny und Gerda eintrafen, war die Bande verschwunden. Hinterlassen hatte sie rauchende Haufen, wie nach einem kleinen Krieg. Alle Fenster rundum waren erleuchtet. Gerda Hoffner sah Silhouetten der Bewohner, die das Vorgehen der Polizei auf dem Schulhof verfolgten. Sie wusste, was die Leute dachten: Wird aber auch Zeit, dass die endlich kommen.
    So ging es weiter. Auseinandersetzungen in Wohnungen, zwei, eigentlich Buden, keine Kinder, zum Glück. Feuerwerke. Knatternde Mopeds um fünf Uhr am Morgen, vielleicht eine Art Ouvertüre zur Christmette. Gerda Hoffner trank Kaffee im Auto und dachte an Schlaf, tiefen Schlaf.
    »Möchtest du fahren?«, fragte Johnny.
    »Lieber nicht.«
    »Sonst bist du frühmorgens doch immer ganz fit.«
    »Heute aber nicht.«
    »Nur noch ein paar Stunden«, sagte er. »Halte durch.«
    Er startete das Auto. Sie waren wieder in Vasastan gelandet. Um sie herum brüteten die Häuser wie Schlösser. Schlösser der Geheimnisse, dachte sie. Die Vasakirche war eine schwarze Kathedrale, ein gezackter Schattenriss vor dem bleichen Winterhimmel. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum ersten Morgenlicht, und ein neuer schöner Tag würde heraufziehen. In diesem Winter gab es nur schöne Tage. Die Leute hatten aufgehört, vom Wetter zu reden. Das unbegreifliche Blau war normal geworden, Alltag.
    Sie fuhren an der Fassade in der Götabergsgatan vorbei. Soweit sie erkennen konnte, brannte hinter keinem Fenster Licht. Sie fuhren auch an der Fassade in der Chalmersgatan vorbei. Ein Fenster im dritten Stock war erleuchtet. Gerda Hoffner zeigte nach oben. Johnny sah es.
    »Was ist damit?«, fragte er.
    »Nichts.«
    »Nachteulen gibt es überall.« Er lachte auf. »Leute wie wir.«
    Sie kamen an der westlichen Fassade des Vasaplatsen vorbei. In einem Fenster im dritten oder vierten Stock meinte sie, ein schwaches Licht zu sehen, ein blaues Licht.
    Winter verfolgte noch einmal alle Bewegungen der Szene. Schlafzimmerszenen. Er konnte die DVD problemlos in seinem Laptop abspielen. Angela war schon lange im Bett. Lilly würde bald aufwachen, aber dann würde er schlafen. Angela würde den Morgendienst übernehmen. An diesem Weihnachtstag gab es keine Christmette. Am späten Vormittag würde er wieder frisch sein. Er würde Bertil anrufen. Er hatte das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Fast hätte er ihn schon gestern Abend angerufen.
    Es war eine Herausforderung. Er sah alles durch das Auge der Kamera: das Zimmer, alles, was es im Zimmer gab. Er empfand es als Herausforderung: Fang mich doch. Halt mich auf. War das ein Hilferuf? Rette mich vor mir selber. In diesem Fall war er nicht sicher. Da war eine … Arroganz, die war stärker als ein eventueller Hilferuf. Ein Spiel. Es war eine Art Spiel. Winter verfolgte es auf dem Bildschirm. Er trug Kopfhörer. Die Geräusche wurden deutlicher, klarer. Er hörte die unheimlichen Nachtgeräusche der Menschen in den Betten. Wann war es gewesen? Wann waren sie

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