Der letzte Winter
aufgeräumt. Wer sagt das? Wer hat gesagt, dass ich aufge… aufgeräumt habe?«
Jetzt klang seine Stimme empört. Er stand irgendwo nah bei der Tür, seine Stimme hatte sich von ihr entfernt. Herr im Himmel, er war sich seiner Zwanghaftigkeit nicht bewusst! Er handelte zwanghaft. Er machte es ein bisschen hübscher. Vielleicht hätte er richtig aufgeräumt, wenn er nicht gestört worden wäre. Oder er ist einfach weggegangen. Ist in seine Wohnung gegangen. Es war ja nicht weit. Auch von der Götabergsgatan war es nicht weit bis hierher. Und dennoch war es sehr weit entfernt. Sie könnte ebenso gut in einem anderen Land liegen, einem anderen Erdteil. Wer würde auf die Idee kommen, sie hier zu suchen? Johnny Eilig war der Einzige, auf den sie hoffen konnte, aber er war zu beschränkt. Er würde ihr Verschwinden nicht mit Heiligabend in Verbindung bringen, als sie am Haus vorbeigefahren waren. Er hatte den Mann, der es verließ, nicht beachtet, auch später nicht in der Stadt oder als er das Haus wieder betrat. Sie hatte nichts gesagt. Johnny konnte keine Zusammenhänge herstellen. Jedenfalls nicht über mehrere Tage. So viele Tage hatte sie nicht mehr. Vielleicht blieb ihr nur noch dieser.
»Kannten Sie sie?«, fragte sie. »Kannten Sie die Frauen?«
»Ich habe nicht aufgeräumt! Wer hat behauptet, ich hätte aufgeräumt?!«
»In beiden Wohnungen wirkte es aufgeräumt«, sagte sie. Vorsicht jetzt!
»Ha! Ja, das kann man behaupten, wenn man nicht dort war! Sie waren nicht dort. Sie wissen nicht, wie es bei denen aussah.«
»Nein.«
»Sie wissen es nicht!«
Die Stimme hatte jetzt einen lauten Widerhall, als hüpfte sie aus einem Megaphon durch den Raum, die nackten Wände entlang. Alles, was sie sah, war nackt. Besser so. Hier gab es nichts aufzuräumen. Nichts weiter als einen nackten Fußboden und dieses Bett, das vielleicht nur zur Folter benutzt wurde. Sie sah kein Laken. Sie lag auf der nackten Matratze. Wie wollte er sie beseitigen? Sie war groß. Sie war schwer, jedenfalls für ihn. Vom Streifenwagen aus hatte er schmächtig gewirkt. Er konnte sie nicht einfach in einen Müllsack stecken und wegtragen. Aber vielleicht beabsichtigte er das gar nicht. Vielleicht hatte er ganz andere Pläne. Er konnte sie auf andere Art verschwinden lassen. Sie wusste, dass es viele Möglichkeiten gab. Sie hatte genügend gelesen, genügend Filme gesehen. Wenn sie dies hier überlebte, würde sie nie wieder lesen oder einen Film anschauen. Nie mehr neugierig sein. Dann würde sie sich nur noch eins wünschen: noch eine kleine Weile leben zu dürfen. Das war auch der einzige Wunsch, den sie im Moment hatte. Aber es war zu viel verlangt. Ein zu großer Wunsch. Ein Kind würde das begreifen.
Sie spürte einen furchtbaren Schmerz im Rücken.
Sie hatte versucht sich zu bewegen.
»Aauuu!«
»Halten Sie still.«
»Es … es tut weh.«
»Nur wenn Sie sich bewegen.«
»Wie … wie lange soll ich noch so liegen?«
»Nicht mehr lange.«
»Was haben Sie mit mir vor?«
»Warum sind Sie hergekommen?«
Seine Stimme klang anklagend. Es war nicht seine Schuld. Nichts war seine Schuld. Warum musste sie auch so verdammt neugierig sein? Warum hatte sie sich nicht um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert? Und ihn sich um seine kümmern lassen. In dem anklagenden Ton lag auch die Antwort auf ihre Frage. Sie war aus freien Stücken in die Falle gegangen.
»Sie hatten nichts anderes zu tun.« Seine Stimme klang jetzt ruhiger. Als hätte er einen Entschluss gefasst.
»Lassen Sie mich gehen«, sagte sie.
»Sie sind allein«, sagte er.
»Nein.«
»Sie leben allein.«
»Sie wissen gar nichts über mich.«
»Sie haben niemanden, mit dem Sie reden können. Und Sie haben niemandem erzählt, dass Sie hierhergehen wollten.«
»Das … werden sie schon begreifen.«
Sie versuchte, ganz still zu liegen. Die Schlinge hatte sich noch fester zugezogen. Es war sehr gefährlich, sich zu bewegen. Vielleicht wollte er, dass sie sich bewegte. Er brauchte gar nichts mehr zu tun. Sie würde es selbst erledigen.
»Sie werden es nicht begreifen«, sagte er. »Ich habe versucht, es ihnen begreiflich zu machen. Aber die kapieren gar nichts.«
»Die? Wer?«
»Das spielt keine Rolle. Niemand wird es verstehen. Niemand hat es jemals verstanden. Es spielt keine Rolle, was ich mache.«
Hörte sie eine Art Selbstmitleid in seiner Stimme? Trauer? Was war das? Wovon redete er? Von etwas, das er selbst erlebt hatte? Wenn sie doch …
»Ich muss jetzt
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