Der letzte Winter
So und so viele psychotische Mörder auf jedem Treppenabsatz in Göteborg. So und so viele Pedanten. Die Verbindung zwischen Pedanterie und psychotischem Morden. Solche Sachen.
»Hallo!!«
Die Tür hinter ihr wurde aufgerissen.
»Was soll das Geschrei? Hören Sie auf zu schreien!«
Er redete wie ein Lehrer. Vielleicht war er Lehrer von Beruf. Er konnte alles Mögliche sein, wirklich alles Mögliche.
»Ich muss zur Toilette.«
»Nein.«
»Ich muss zur Toilette!«
Er blieb stumm. Sie spürte einen leisen Windhauch wie ein Streicheln auf der Wange. Er kam durch die Tür. In der Wohnung stand irgendwo ein Fenster offen. Eine Tür. Die Rettung würde durch die Tür gestürmt kommen. Oder durch das Fenster. So etwas war schon passiert. Davon hatte sie gehört.
Wenn sie nur zur Toilette gehen durfte, würde sie allem entkommen. No way , dass sie in dieses Zimmer zurückkehren würde. Sie würde den Kerl niederschlagen. Sie wür…
Sie spürte, dass er sich hinter ihr bewegte und an dem Seil zog.
Ein Pedant. Er wollte nicht, dass in seiner gepflegten Wohnung ein Malheur passierte. Ein vollgepinkeltes Bett war nicht angenehm, ein vollgepinkeltes Zimmer. Das war nicht sauber. Das roch. Es würde lange riechen. Der Geruch würde vielleicht nie verschwinden. Die Flecken. Nichts würde verschwinden.
Er löste das Seil in ihrem Rücken.
Kein Becken. Er würde weder Becken noch Eimer oder eine Schale holen. Das wäre keine saubere Lösung. Er wollte es nicht sehen. Er wollte nichts berühren. Er würde nie im Leben ein guter Krankenpfleger werden. Sie hatte vorübergehend in der Altenpflege gearbeitet. Da ging es nicht ordentlich zu. Auch bei jüngeren Bettlägerigen waren die natürlichen Bedürfnisse nicht sauber. Urin und Kot waren lustig, solange man vier, fünf Jahre alt war. Später nicht mehr.
Er löste die Fessel an ihren Füßen. Sie würde leben. Als sie seine Hände an ihren Füßen spürte, wusste sie, dass sie leben und berichten würde.
Der Morgen des letzten Tages im Jahr war wie jeder andere Wintermorgen: rote Sonne, klare und giftige Luft. Schnee war irgendwo anders weit oben im Norden gesichtet worden. Seine Töchter hatten ihn schon im Bett begrüßt. Er schwang die Beine über die Bettkante. »Wir wollen frühstücken!«
Aber das Telefon klingelte, ehe er den Flur durchquert hatte. Die Geheimnummer. Er hob das Telefon im Flur ab.
»Ja?«
»Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt.«
»Nein, nein, Janne. Was ist los?«
»Das Eisauto.«
»Ja?«
»Die fahren auch Touren durch Groß-Göteborg«, sagte Möllerström.
»Ich weiß, dass es so gut wie hoffnungslos ist«, sagte Winter. »Wir werden das ganze Gebiet eingrenzen müssen.«
»Apropos eingrenzen. Im Zentrum verabschieden sie sich.«
»Wann das?«
»Zum Jahreswechsel, heute Abend also.«
»Wann sind die letzten Touren im Zentrum gefahren worden?«
»Letzte Woche.«
»Und welche Straßen zählen zum Zentrum?«
»Dafür gibt es Streckenpläne«, sagte Möllerström. »Ich kann sie dir nach den Feiertagen mailen.«
»Nach den Feiertagen? Warum diese Rücksicht?«
»Ich weiß es nicht, Erik. Dachte, es ist schon schlimm genug, wenn ich dich Silvester anrufe.«
Aus der Küche roch es nach gebratenem Schinken. Angela wollte nicht mehr warten. Es gab Dinge, die hatten sie noch nicht geregelt. Er hörte Lillys trillerndes Lachen. Elsa rief etwas. Vielleicht rief sie nach ihm.
»Meine Töchter werden sich nicht freuen«, sagte er zu seinem Registrator. »Kein Eisauto mehr.«
»Ja, eine echte Gemeinheit.«
»Warum stellen sie die Fahrten im Zentrum ein?«
»Zu viel Konkurrenz, all die kleinen Läden und Eisbuden. Und es wird immer schwerer, auf der Straße anzuhalten. Keine Zeit und kein Platz. Und zu gefährlich. Kinder auf der Straße. Wir reden ja nicht gerade von verschlafenen Villenvierteln.«
»Wir reden von der Diskriminierung der Stadtbewohner«, sagte Winter.
»Wenn dir das Eisauto so wichtig ist, musst du wohl umziehen«, sagte Möllerström.
»Fährt es bis raus ans Meer?«
»Ich maile dir alle Streckenpläne, dann kannst du es selber überprüfen«, sagte Möllerström.
Winter dachte nach. Er dachte nicht an die Touren des Eisautos, aber an etwas, das mit ihm zusammenhing. Da gab es etwas, das geklärt werden musste. Etwas, das nicht geklärt war.
»Hast du nach dem Musiksignal gefragt?«
»Nein, du hast dich doch nur für die Touren interessiert, oder?«
»Ja …«
»Mit dem Gedudel war alles klar,
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