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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Nicht einmal er schaffte das. Er und Bertil waren allein. Er brachte es nicht übers Herz, an diesem Tag Fredrik und Aneta anzurufen. Fredrik war ja schon halb weg, vielleicht war auch seine Schärfe weg. Er würde Halders verlieren. Das war eine Tragödie. Es war der letzte Winter. Aneta würde bleiben. Vielleicht. Er hörte ein Flugzeug am Himmel knurren und hob den Blick. Es verließ die Stadt, ein Flug in die Zukunft, vermutlich ein Langstreckenflug nach Thailand, Teheran. Das stelle man sich einmal vor! Wohin fahren wir? Wo fangen wir an? Er sah den Flugzeugrumpf noch ein letztes Mal in der Sonne aufblitzen und in der Zukunft verschwinden. Oder in der Vergangenheit. Wenn das Flugzeug landete, war es vielleicht ein neues Jahr, eher als hier oder später.
    »Erik! Erik!«
    Jemand rief seinen Namen. Es klang, als käme der Ruf vom Himmel. Sein Blick war immer noch auf das Loch gerichtet, in dem das Flugzeug verschwunden war. Darum herum hatte sich ein Ring aus dem Rauch seines Corps gebildet.
    »Erik.«
    Er drehte sich um.
    Bertil kam über den gefrorenen Rasen gekeucht. Erst jetzt bemerkte Winter den weißen Schimmer, der wie eine winterliche Luftspiegelung über dem Gras lag, und ihm fiel ein, dass es unter seinen Schritten geknirscht hatte.
    »Wir haben noch etwas auf dem Film entdeckt«, sagte Ringmar.
    Es sah aus wie Absätze. Zwei-drei-vier-fünf Absätze übereinander.
    »Wie hast du das geschafft?« Winter drehte sich zu Yngvesson um.
    »Es ist eine Frage des Lichts«, antwortete der. »Oder vielmehr des fehlenden Lichts. Ich habe entgegengesetzt gedacht und den Hintergrund so stark verdunkelt, wie es eben ging.«
    Wie ein Negativ, dachte Winter.
    »Die sehen aus wie Klötze. Kleinere Klötze«, sagte Ringmar.
    »Sie hängen in der Luft«, sagte Winter. »Balkone.«
    Yngvesson stieß einen Pfiff aus.
    »Eine ganze Reihe Balkone vor dem Fenster«, sagte er.
    »Ein Stück entfernt«, sagte Winter.
    »Auf der anderen Straßenseite«, sagte Ringmar.
    »Ein bisschen weiter entfernt«, sagte Winter. »Auf der anderen Seite der Kreuzung.«
    »Über diesen Klötzen sind gerade Linien«, sagte Ringmar.
    Winter nickte. Kein Jugendstil.
    »Bauhausstil«, sagte Ringmar. »Gibt es … Häuser im Bauhausstil im Zentrum?«
    »Johanneberg«, sagte Winter. »Guldheden.«
    »Aber die liegen doch nicht im Zentrum?«
    »Wir bestimmen nicht, wo das Zentrum ist«, sagte Winter.
    »Wer denn?«
    »Der Mörder.« Winter wies mit dem Kopf zu dem erstarrten Bild. Er dachte an die erstarrte Erde draußen. Die Luftspiegelung. »Aber es ist nicht Johanneberg oder Guldheden. Dort spielen sie noch das alte Eissignal.«
    »Gibt es in der Nähe der Avenyn nicht Häuser im Bauhausstil?«, fragte Ringmar.
    »Genau«, sagte Winter. »Auf geht’s.«
    Sie umkreisten den Götaplatsen und spähten zu den Hausfassaden hinauf. Zwei Fahnder bei der Arbeit. Sie wussten, wo das Eisauto anhielt oder angehalten hatte, aber die Route hing vom Verkehr ab, und deshalb konnte der Abstand der Stopps von Mal zu Mal variieren. Unterschiede im Abstand konnten in diesem Fall viel bedeuten. Alles hing davon ab, ob sie vor dem einen oder dem anderen Haus hielten.
    Um den Götaplatsen herum war es nicht stimmig. Hier konnte es nicht sein. Die Flächen waren zu groß, es gab zu viel Himmel. Der war noch immer blau, als hätte er sich in diesem Winter irgendwie mit dem Ball, der Erdkugel verhakt. Vielleicht bin ich doch religiös geworden, richtig fromm. Dies ist der Weltuntergang, und ich darf dabei sein.
    Sie fuhren die Avenyn hinunter. Er war erstaunt, wie belebt die Straße war. Einige Geschäfte hatten noch geöffnet. Die Pubs, die Kneipen. Vor zehn Jahren hatte hier tote Hose geherrscht. Da hatte er um diese Zeit mit Angela einen Kilometer weiter westwärts in einer Wohnung am Esstisch gesessen. Damals hatten sie noch keine Kinder gehabt. Er hatte das Gefühl, als hätte er seitdem ein ganzes Leben gelebt. Und hier war er nun, an einem Silvesterabend unterwegs in Bertils Auto auf der Avenyn. Nicht einmal Angela war dabei.
    »Dann also weiter.« Ringmar umrundete die Verkehrsinsel. Im Augenblick war keine Straßenbahn im Weg. Einige Jungen schauten ihnen lange nach, zeigten auf sie.
    »Nicht alle wissen, dass wir Bullen im Dienst sind«, sagte Winter.
    Ringmar hielt auf dem breiten Gehweg vor Tvåkanten an, und eine vorbeigehende Gruppe warf ihm böse Blicke zu.
    Ein Mann, der zwischen dem Tvåkanten und dem Juwelier-Laden stand, hob eine Hand. In der anderen

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