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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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    Ringmar nickte.
    »Wo ist dann also das hier?«, fragte Yngvesson.
    Wo ist dann also das hier? Was waren das für Konturen vor dem Fenster? Es waren Häuser, die auf Pfählen im Schlamm erbaut worden waren. Es waren Schatten, die mit realen Dingen zusammenhingen.
    Sie schienen jetzt deutlicher hervorzutreten.
    »In welchem Stockwerk befinden wir uns?«, fragte Ringmar.
    Yngvesson wechselte das Bild. Das Licht veränderte sich in ein Nichtlicht, natürlich oder künstlich. Egal, was, es war sinnlos. Aber es schuf einen Hintergrund, einen helleren Fond, auf dem sich der Vordergrund spiegeln konnte.
    »Nicht in der ersten Etage«, sagte Yngvesson.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Man kann Himmel sehen, oder?«
    Ringmar starrte auf das Bild.
    »Du meinst, das da ist Himmel?«
    »Ich glaube ja.«
    »Was könnte es sonst sein?«
    »Es ist Himmel«, sagte Winter. »Dahinter ist nichts. Oder darüber.«
    »Okay«, sagte Ringmar, »also zweiter oder dritter Stock.«
    »Und was ist das?« Winter zeigte auf den Bildschirm.
    »Was?«, fragte Yngvesson.
    »Es sieht aus wie ein flacher Schatten genau unterhalb vom Fenster. Seht ihr das? Als würde draußen etwas liegen. Etwas Langgestrecktes. Vor dem Fenster. Oder bilde ich mir das nur ein?«
    »Das Fenster wird wohl reflektiert«, sagte Ringmar.
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Kannst du noch mehr rausholen, Yngve?«, fragte Winter.
    »Ich weiß nicht … Vielleicht die Kontraste … Wartet mal.«
    Sie warteten. Das Bild wurde eine Spur schärfer, die Abgrenzung zwischen den Schatten etwas stärker, das musste reichen, da sie die Gegenstände nicht erkennen konnten. Himmel, er wünschte inständig, er könnte alles vom Bildschirm abreißen, was den Blick verschleierte.
    Ein Umriss vor dem Fenster. Da draußen lag etwas. Gab es etwas.
    Ein Kasten, dachte Winter. Vor dem Fenster steht ein Kasten.
    Ein Rechteck. Ein Viereck. Ein Ding.
    Ein Haus vor dem Haus.
    Ein Dach vor dem Fenster.
    Ein Dach.
    Ein Haus.
    Ein Treppenhaus?
    Nein, nicht unter dem Fenster. Das Fenster ging auf eine Straße, so musste es sein. Es war mitten in der Stadt. Unterhalb des Fensters gab es keine albernen Erker oder herausragende Portale. Bei dem Umriss handelte es sich um etwas anderes.
    »Vielleicht wird vor dem Fenster gebaut«, sagte Yngvesson. »Renoviert. Ein Gerüst.«
    »Ja!!!«
    Ringmar und Yngvesson zuckten zusammen. Winter sprang auf.
    »Kein Gerüst«, sagte er. »Das sind Baracken. Baracken für Arbeiter. Irgend so was. Sie renovieren die Fassade.«
    »Das ist möglich«, sagte Yngvesson.
    »Es ist nur ein Gedanke«, sagte Ringmar.
    »Gibt es im Zentrum ein altes Gebäude, dessen Fassade gerade renoviert wird?«, fragte Yngvesson.
    »Sei mal still«, sagte Ringmar.
    »Oder Container«, sagte Winter. »Baracken. Kisten. Container. Sie stehen unter dem Fenster im zweiten oder dritten Stock.«
    »Wenn sie noch da stehen«, sagte Ringmar.
    »Der Film ist erst kürzlich aufgenommen worden«, sagte Winter.
    »Und in der Nähe hat das Eisauto gehalten«, sagte Yngvesson.

34
    W inter stand auf und ging ins Treppenhaus, eine Halle mit Wänden aus Ziegeln. Sie war Teil seines Zuhauses. Er fuhr mit dem Lift nach unten und betrat den Hof. Die dreihundert Jahre andauernden Renovierungsarbeiten am Polizeipräsidium nahmen kein Ende. Überall standen Arbeitsbaracken. Sie sahen aus wie Container, bereit, nach Singapur verschifft zu werden. Er war noch nie in Singapur gewesen, soweit er sich erinnerte. Warum nicht dorthin fahren, wenn alles vorbei war. Eine Suite auf der »Queen Elizabeth« von Southampton buchen. Das Gepäck mit Kreide beschriftet: P. O. S. H. Port Out. Starboard Home. Das bedeutete, dass die Kabine der Besitzer immer im Schatten lag. Eine Kabine nur für Reiche.
    Er zündete sich einen Corps an. Der Rauch des Zigarillos stieg ins Blau. Die Dämmerung war bis jetzt nur zu ahnen. Er schaute über den Fattighusån. Am anderen Ufer ruhte der Verkehr. Niemand war unterwegs in der Mittagssonne des Silvestertages, nur Kommissare und verrückte Hunde.
    Das Zentrum. Vasastan. Warum dachte er an Vasastan? Weil es sein Stadtteil war. Weil er diesen verdammten Film bekommen hatte. Die Filme. Weil es nah war. So fern und doch so nah. Vasastan und Spanien. Weil seine Mutter gesagt hatte, es gäbe noch einen Namen. Wie lautete er? Stell deinen Gin Tonic ab und denk nach! Er würde ihn finden. Vielleicht schon heute Nachmittag. Denk nach. Denk nach. Wie viele Leute brauchen wir? Silvester, ha, ha.

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