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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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dem Impuls nachgab. Dort, und in der Wohnung in der Chalmersgatan. Und er würde in die Teatergatan zurückkehren. Drei Straßen in einer Reihe. Gerade Reihen. Gerade Lin…
    »Halt an, Bertil.«
    »Was ist?«
    »Halt mal an. Ich muss nur etwas überprüfen.«
    »Was ist los, Erik?«
    Ringmar hielt vor dem Basement. Das Restaurant war geschlossen. Das war sympathisch. Winter hatte es einige Male besucht. Er würde wieder hingehen, vielleicht schon im nächsten Jahr. Er warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. In knapp sechs Stunden brach das neue Jahr an.
    Winter stieg aus.
    Es hatte angefangen zu schneien.
    Er schaute hinauf. Der Himmel sah noch genauso stahlblau aus wie vorher. Dort oben wimmelte es von Sternen. Es schneite in großen Flocken. Es war ein Mirakel. Es waren große Flocken. Er konnte sie mit seiner behandschuhten Hand greifen.
    »Das ist ja ein Ding.« Ringmar war ebenfalls ausgestiegen. »Wie im Film.«
    Winter ging auf die Kreuzung zu. Gegenüber der Einmündung Kristinelundsgatan blieb er stehen. Ringmar folgte ihm. Winter sah zu der Fensterreihe im zweiten Stock hinauf. Drei Fenster waren schwarz. Alle anderen Fenster des Hauses waren erleuchtet. Winter ging ein Stück weiter und blieb vor HDK stehen. Er sah die schwarzen Fenster in dem Haus auf der Chalmersgatan. Drei schwarze Fenster. Er wusste, dass es in der Teatergatan genauso aussah. Der gleiche riesige Gebäudekomplex verband die Wohnungen in der Chalmersgatan und Teatergatan miteinander. Ein ganzes Viertel. Es waren die gleichen geraden Linien. Man brauchte nur ein Lineal anzulegen, ein langes Lineal. Er zog die Linie durch die Luft. Sie glitt geradewegs hindurch, genau durch alle drei Schlafzimmer, von der Götabergsgatan zur Teatergatan.
    »Was treibst du da, Erik?«
    »Ich messe.«
    »Misst was?«
    »Die Wahrscheinlichkeit.«
    Ringmar folgte seinem Arm mit Blicken. Winter erklärte es.
    »Gibt es noch mehr Linien?«, fragte Ringmar.
    »Die plant er vielleicht just in diesem Moment«, sagte Winter.
    »Dann müssen wir ganz Vasastan räumen«, sagte Ringmar.
    »Größenwahn«, sagte Winter.
    »Was?«
    »Er ist größenwahnsinnig.«
    Ringmar schwieg. Es schneite jetzt heftiger. Der Himmel war immer noch blau und schwarz. Die Sterne waren immer noch sichtbar.
    »Oder aber es steckt gar kein Konzept dahinter«, sagte Ringmar.
    Winter blieb stumm. Er spürte Schnee auf der Nase, auf den Augenlidern und öffnete den Mund. Der Schnee schmeckte nach nichts, nicht süß, nicht sauer.
    »Es ist nichts als reine Bösartigkeit«, fügte Ringmar hinzu.
    »Es gibt keine reine Bösartigkeit, Bertil.«
    »Dann eben unreine.«
    Winter spürte den Schnee im Haar. Reiner Schnee, unberührt von Menschenhand. Er hoffte, dass Elsa und Lilly jetzt am Fenster saßen. Vielleicht waren sie sogar draußen im Garten. Vielleicht waren sie noch dort, wenn er kam. Sie würden einen Schneemann bauen. Das war wichtiger als alles andere.
    »Jetzt legen wir erst mal eine Festpause ein«, sagte er.

37
    W aren das Stimmen? Was war das? Vögel? Nein, keine Vögel. Um diese Jahreszeit gab es keine Vögel, jedenfalls keine singenden. Sie fror. Da war das Geräusch wieder. Es kam vom Fenster. Das Fenster konnte sie sehen. Das Rollo war nicht ganz heruntergezogen. Er ist im Zimmer gewesen. Das Geräusch. Es klopfte am Fenster. Jemand klopfte. Sie sah eine schattenhafte Bewegung. Hörte ein tapp-tapp-tapp-tapp-tapp-tapp. Es war ein Vogel. Ein kleiner Vogel. Wenn ich doch ein Vogel wäre, nur für einen Moment. Nur diesen einzigen Augenblick. Draußen war es bestimmt Tag. Tageslicht. Welcher Tag? Ein neuer Tag. Kirchenglocken läuteten. Das ist … was ist das? Der Neujahrstag? Bestimmt, es ist ein Feiertag, dann läuten die Kirchenglocken. Es muss die Vasakirche sein. Aber die Glocken läuten doch nie an Silvester? Ein weiterer Tag ist vergangen. Das neue Jahr hat begonnen. Heute Abend habe ich Dienst, heute Nachmittag. Bis dahin sind es sicher nicht mehr viele Stunden. Vielleicht müsste ich in diesem Augenblick meinen Dienst antreten. Johnny hat noch nichts begriffen, aber bald wird sogar er es kapieren. Er wird Alarm schlagen. Dann geht alles ganz schnell. Es geht in einem Hui. Hui, hui, wie schnell das geht. Ich habe Schmerzen in den Armen. Schmerzen in den Beinen. Sie sind längst eingeschlafen. Der ganze Körper ist eingeschlafen. Nur mein Kopf ist wach. Lass ihn auch schlafen. Ich will schlafen, schlafen, bis sie kommen. Vielleicht kommen sie durch das Fenster.

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