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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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lernen. Ich werde ihn fragen. Es wäre schrecklich peinlich, wenn die Unterhose herumläge. Was werden sie von mir denken. Hoffentlich habe ich vorgestern abgewaschen. Er atmet immer noch hinter mir. Das bedeutet, dass er nicht tot ist. Ha, ha. Er wartet. Genau das tut er. Er wartet. Jemand wird kommen. Darauf wartet er. Jemand soll leiden.
    Sie versuchte zu sprechen. Es gelang ihr nicht. Sie versuchte es wieder. Es kamen Laute, aber keine Wörter.
    Er bewegte sich hinter ihr. Ging er? Nein, nein, nein! Er darf nicht gehen!
    »Gehen Sie nicht!«
    Die Schritte hielten inne. Sie konnte sich nicht umdrehen. Sie wollte es auch nicht.
    »Sie sind wach.«
    »War… warum sollte ich nicht wach sein?«
    Keine Antwort.
    »Was haben Sie mir gegeben?«
    Er antwortete nicht. Sie musste eine Antwort haben. Es war ihre letzte Chance.
    »Wie lange soll ich hier noch liegen?«
    Keine Antwort.
    »Warum so …«
    »Sie hätten nie herkommen dürfen«, unterbrach er sie. »Sie hätten nicht so neugierig sein dürfen.«
    »Nein.«
    »Sie waren zu neugierig.«
    »Ja.«
    »Das ist nicht gut.«
    »Ich weiß, dass es nicht gut ist. Ich werde es mir abgewöhnen.«
    »Dafür ist es jetzt zu spät.«
    »Wieso zu spät?«
    Er antwortete nicht.
    »Wieso zu spät?«
    »Sie hätten nie hierherkommen dürfen.«
    »Ich will nicht hier sein! Ich will gehen! Darf ich jetzt gehen?! Lassen Sie mich gehen!«
    Er blieb stumm. Das war die schlimmste Antwort, dieses Schweigen. Es ließ sie das Schlimmste befürchten. Dass er an das Schlimmste dachte. Sie wollte nicht sagen, dass sie inzwischen nach ihr suchten oder sie zumindest vermissten. Wenn sie sagte, dass sie bald hier sein würden, würde er vielleicht etwas mit ihr machen. Oder sie verlassen. Und dann würden sie nie kommen. Sie würden es nie verstehen. Aber Winter musste es doch verstehen? Wenn, dann er. Doch wenn es ihm niemand erzählte? Ihr Verschwinden hing nicht mit dem zusammen, was ihn im Augenblick beschäftigte. Wer sollte eine Verbindung herstellen? Johnny Eilig. Ha, ha, ha. Wer sollte es erzählen? Wahrscheinlich niemand. Sie würden einfach eine andere Person zum Dienst einteilen. In einigen Tagen würden sie anfangen zu überlegen, ob sie landesflüchtig oder so was war. Es gab niemanden, der sie vermisste. Es gibt niemanden, der dich vermisst, Gerda. Darum liegst du hier.
    »Bald.«
    Er sagte es sehr leise.
    »Bald was?«
    »Bald kommen Sie hier weg.«
    »Wie? Wie komme ich hier weg?«
    Er antwortete nicht. Hier wegzukommen konnte Verschiedenes bedeuten, und an die meisten Möglichkeiten wollte sie gar nicht denken.
    »Warum kann ich nicht gleich gehen?«
    »Es ist noch nicht so weit.«
    »Warum nicht? Warum ist es noch nicht so weit?«
    »Sie werden ja sehen.«
    »Was werde ich sehen? Ich will nichts sehen!«
    »Sie müssen es sehen.« Er sprach immer noch leise. Seine Stimme klang traurig. Als käme sie von weit her. Als würde sie zurückschauen.
    »Wozu brauchen Sie mich? Was soll ich sehen?!«
    »Sie haben es schon gesehen.«
    »Es gesehen? Was habe ich gesehen?«
    »Die Gerechtigkeit.«
    »Welche Gerechtigkeit? Was war die Gerechtigkeit?«
    Er antwortete nicht.
    »Welche Gerechtigkeit habe ich gesehen?«
    »Sie verstehen es nicht.«
    »Ich will es verstehen. Erzählen Sie es mir, damit ich es verstehe!«
    Er antwortete nicht. Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Die Scharniere müssten einmal geölt werden.
    »Nein! Nein!«
    »Was ist?«
    »Gehen Sie nicht.«
    »Haben Sie Durst? Möchten Sie wieder etwas trinken? Möchten Sie etwas essen?«
    Hatte sie schon einmal etwas getrunken? Hatte sie etwas gegessen? Sie konnte sich nicht erinnern. Aber es musste wohl so sein.
    »Ja. Ich habe Durst. Und Hunger.«
    »Ich hole Ihnen etwas.«
    Sie hörte, wie die Tür zuschlug, dann Schritte in der Wohnung, die mit einem Echo verschwanden, das lauter war als vorher. Als bewegte er sich durch einen Tunnel. Da draußen gab es hundert Zimmer. Was war das? War das ein Schrei? Er kam nicht von der Straße. Dort war es still und es wurde dunkel. Plötzlich fror sie. Sie begann zu zittern. Ein Schaudern fuhr wie ein kalter Blitz durch ihren Körper. Ich habe soeben mein Todesurteil unterschrieben. Oder mein Leben gerettet.
    Winter ging zu dem Tisch in Dahlquists Wohnung. War es derselbe Tisch? Erkannte er ihn auch? Mal sehen. Es war wieder filmtime . Er betrachtete den Pokal, berührte ihn jedoch nicht. Es musste derselbe sein. Er sah tatsächlich genauso aus. Winter schaute sich um.

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