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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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daran erinnern, wann er in die große Wohnung am Vasaplatsen gezogen war, oder warum überhaupt. Ein Anfall von Größenwahn. Eine Investition für die Zukunft, obgleich er damals nie an die Zukunft gedacht hatte, genauso wenig wie an die Vergangenheit. Damals hatte es nur ein einziges riesiges verdammtes JETZT gegeben, und das bereute er. Jetzt bereute er es. Die Leute, die behaupteten, man sollte im Jetzt leben, täuschten sich.
    Er befand sich in der Küche. Auf der Anrichte standen eine Weinflasche und ein Glas. Beides hatten die Leute von der Spurensicherung nicht mitgenommen. Es war ihnen nicht unbedingt nötig erschienen, als sie das letzte Mal hier waren, aber jetzt würde es vielleicht nötig werden. Darum bin ich hier, dachte er. Es kann ein zweites Mal geben. Eine zweite Wiederholung. Nennt man das nicht Tautologie? Reicht eine Wiederholung nicht? Die Flasche hatte in dem trüben Tageslicht wie eine gewöhnliche Flasche gewirkt. Er hatte kein Licht in der Küche eingeschaltet, aber jetzt erkannte er, dass es sich um einen schweren Wein handelte, einen Amontillado. Er berührte die Flasche nicht, las nur das Etikett. Die Marke sagte ihm nichts. In Schweden trank er selten Sherry, nur in Spanien. Sherry war das richtige Getränk zu Tapas. Er mochte den Amontillado mit seinem nussigen Bukett, dem milden, bitteren Geschmack, aber fino war unkomplizierter zu Tapas. Neben der Flasche stand ein schlichtes Glas für Weißwein. Es sah unbenutzt aus. Die Flasche war zwar geöffnet, wirkte aber unberührt, bis zum Hals gefüllt mit Wein. Ein Glas Amontillado. Keiner hatte es eingeschenkt. Dennoch schienen sie zusammenzugehören, die Flasche und das Glas, sie standen viel zu nah beieinander, als dass es anders sein konnte. Aber warum nur ein Glas? Und formal das falsche Glas für das Getränk. Gab es keine Sherrygläser in diesem Haushalt? Wer sollte davon trinken? Und warum?
    Sein Handy klingelte. »Ja?«
    »Bertil hier. Wo bist du?«
    »In der Chalmersgatan.«
    »Wie sieht es aus?«
    »In der Küche steht eine Flasche Amontillado.«
    »Was ist das? Ein Dessertwein, oder?«
    »Das ist Sherry, Bertil.«
    »Ist das nicht ein Getränk für alte Damen?«
    »Das will ich nicht gehört haben.«
    »Dann hör dir dies an. Wir haben einen Zeugen, der sagt, er habe einen Mann über die Klippen laufen sehen an dem Tag, als Anders Dahlquist verschwand.«
    »Am selben Tag? Ist er seiner Sache sicher?«
    »Ja. Er sagt, es war sein Geburtstag. Am Nachmittag hat er einen Spaziergang unternommen und da draußen einen Jungen herumlaufen sehen. So hat er es ausgedrückt.«
    »Herumlaufen, wohin?«
    »Tja, wenn man herumläuft, kommt man nirgends an, oder? Er hat nur gesagt, dass er jemanden zwischen den Klippen hat laufen sehen. Einen Mann. Es könnte Dahlquist gewesen sein, aber das Gesicht hat er nicht von nahem gesehen.«
    »Woher haben wir das erfahren?«
    »Bei der Befragung an den Wohnungstüren. Beim ersten Mal war der Mann anscheinend nicht zu Hause.«
    »Okay. Was sagt er sonst noch?«
    »Nichts. Aber seine Beobachtung stimmt zeitlich ungefähr mit der Aussage von Dahlquists Freund überein. Der, der sich als Alkoholiker geoutet hat. Also kann Dahlquist wirklich da draußen gewesen sein«, schloss Ringmar.
    Winter antwortete nicht. Er betrachtete wieder die Weinflasche. Sie wirkte deplatziert auf der Arbeitsplatte, als würde sie nicht dorthin gehören. Er musste Martin Barkner danach fragen.
    Plötzlich dachte er an Barkner wie an einen Überlebenden.

14
    W inter stand im Schlafzimmer. Vor ihm war das Bett. Es wirkte gleichzeitig neu und alt. Das war Absicht, modernes Design. Hier drinnen war nichts verändert worden, seit die Männer von der Spurensicherung zum letzten Mal gegangen waren. Winter hatte noch nie so lange nach der Tat einen Tatort betreten. Vielleicht gab es hier gar nichts für ihn zu tun. Er stellte sich an die rechte Seite des Bettes. Das Kissen sah unschuldig aus. Auf dem Nachttisch lag ein ordentlicher Stapel Bücher, genau wie auf der anderen Seite. Er notierte die Buchtitel.
    Das Gemälde an der Wand seitlich vom Bett hing perfekt gerade. Er trat näher und sah Staub in den Sonnenreflexen tanzen.
    Er schaute sich um und verstand, was Gerda Hoffner mit dem Bild und den Buchstapeln gemeint hatte. Nichts sonst in diesem Zimmer war rechtwinklig. Der Rest war … lebendig, es war noch Leben darin. Aber die rechten Winkel waren tot. Er stellte sich mitten ins Zimmer und schloss die Augen, versuchte zu sehen

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