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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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getan.«
    Holst beendete seinen Bericht. Er sah aus, als wollte er von jetzt an kein Wort mehr sagen.
    »War noch eine weitere Person anwesend?«, fragte Winter.
    Holst antwortete nicht.
    Winter wiederholte die Frage.
    »Wie meinen Sie das?«
    »War noch jemand in der Nähe, der Sie beide gesehen hat?«
    »Nein … nein. Ich weiß nicht, ob Annica zu Hause war. Wahrscheinlich war sie in der Stadt einkaufen.«
    Daran muss er sich erinnern, dachte Winter. Wenn man den Rest seines Lebens versucht, ein Erlebnis zu verdrängen, erinnert man sich deutlicher daran als an alles andere. Alle Details sind noch da, wie Tätowierungen.
    »Madeleine?«
    »Was ist mit ihr?«
    »War sie da?«
    »Sie … war vermutlich mit Annica zusammen.«
    »Dann waren Sie also allein mit Erik?«
    »Allein mit ihm? Nein! Er ist plötzlich aufgetaucht, das habe ich doch gesagt! Lentners wohnten nur wenige Straßen von unserem Haus entfernt. Wahrscheinlich wohnen sie noch immer dort, das weiß ich nicht. Damals war Nueva Andalucia nicht groß. Inzwischen ist es gewachsen. Na, es ist sinnlos, Ihnen das zu erklären. Aber wenn Sie es gesehen hätten, würden Sie es verstehen.«
    »Ich habe es gesehen«, sagte Winter.
    »Ach?«
    »Ich bin dort gewesen.«
    Mehr wollte Winter nicht sagen. Es war von Vorteil, dass er den Ort, die Umgebung kannte, das stärkte seine Position, er wusste nur nicht, wem gegenüber. Peder Holst? Wer weiß. Aber Nueva Andalucia würde in diesem Fall bestimmt wieder auftauchen. Auch wenn er noch nicht wusste, in welcher Form. Es würde ihm nicht erspart bleiben. Seine eigene Vergangenheit wurde davon berührt, die seiner Familie. In diesem Moment ahnte Winter, dass er vermutlich gezwungen sein würde, noch einmal dorthin zurückzukehren. Widerwillig. Eine letzte Reise.
    »Kann es sein, dass Sie jemand gesehen hat? Sie beide? Jemand, der vorbeikam? Jemand, der dort arbeitete? Irgendjemand?«
    »Ich weiß es nicht. Das … an die Möglichkeit habe ich nie gedacht. Damals nicht.« Er sah Winter mit Augen an, die trocken waren wie die Wüste. »Was macht das für einen Unterschied?«
    »Kann Sie jemand gesehen haben?«, beharrte Winter. »Oder war der Pool von einer Mauer umgeben?«
    »Ich bade doch nicht nackt, wenn die halbe Stadt zugucken kann«, sagte Holst. »Natürlich gab es eine Mauer. Aber … wenn jemand hereinschauen wollte, so bestand schon die Möglichkeit … Zum Beispiel war die Pforte nicht verschlossen. Durch die hat ja auch der Junge das Grundstück betreten.«
    Winter nickte.
    »Wieso? Hätte es einen Zeugen oder so was geben sollen? Meinetwegen gern! Dann hätte sich die Sache augenblicklich aufgeklärt. Aber stattdessen …«
    Holst verstummte.
    »Stattdessen, was?«, fragte Winter.
    »Sie wissen es«, sagte Holst. »Der Junge ging mit seiner verdammten Geschichte nach Hause, und seine Eltern kamen wie Furien angeschossen, und dann war es vorbei mit der Gemeinschaft.«
    »Bestand eine Gemeinschaft? Haben Sie sich oft getroffen?«
    »Tja … wie das eben so üblich ist da unten. Drinks, ein bisschen Grillen. Golf.« Er machte eine Pause und sah wieder aus dem Panoramafenster. Der Rasen wirkte sehr groß und sehr grün. Die Luft war klar. Die Welt vor dem Fenster sah frisch aus, eine andere Welt, eine bessere, gesündere Welt.
    »Und viel Klatsch und dummes Gerede, wenn man ehrlich sein soll«, fuhr Holst fort. »Ein ziemlich sinnloses Leben. Für mich ist es jetzt vorbei.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich fahre nie mehr zurück. Für mich ist es vorbei.«
    »Warum?«
    »Können Sie sich das nicht denken?«
    »Die Alternative wäre, das Gegenteil zu tun«, sagte Winter. »Göteborg für immer zu verlassen.«
    »Weil es … hier geschehen ist?«, sagte Holst. »Nein, ich bleibe hier. Ich will wissen, wer es getan hat. Ich … es …« Er verstummte.
    »Was wollten Sie sagen?«, fragte Winter.
    »Ich will nicht zurück«, wiederholte Holst.
    »Warum nicht?«
    In Holsts Stimme war etwas, das er finden, einfangen wollte. Es ging um das, worüber sie eben gesprochen hatten, oder etwas anderes, aber es hatte einen Ort: die spanische Südküste. Dort gab es eine Vergangenheit. Etwas, das größer war und vielleicht schlimmer als die Anklagen gegen Holst.
    »Ich möchte wissen, welcher Teufel das war«, sagte Holst. »Und er befindet sich hier. In dieser Stadt.«
    Winter sah die Hecklaterne auf dem Wasser, unterwegs aufs große Meer hinaus. Heiligabend auf See. Das Meer war ruhig. Eine stille Nacht. Ein stiller

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