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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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auf der Uferpromenade fort, als hätte es diesen peinlichen Vorfall bei dem Grillplatz gar nicht gegeben. Außerdem war er nackt. Er stand am wogenden Meer. Die Wellen waren weich und gingen nicht besonders hoch. Zwischen jeder siebten Welle war es sehr still. Er bückte sich und hob einen Stein auf. Nah am Wasser gab es mehr Steine als oben bei dem Restaurant. Dort hatten die Grillfeuer alle Steine verbrannt. Er drehte sich um. Das Restaurantgebäude brannte lichterloh. Die Flammen schlugen vier Meter hoch. Die Männer an den Grillplätzen winkten ihm zu, nickten, lächelten. Sie warfen Heringe ins Feuer. Muy bien , so gehörte sich das. Endlich hatten sie etwas gelernt, etwas verstanden. Er reichte sich den Stein und schleuderte ihn von sich, er hüpfte, ein-, zwei-, drei-, vier-, fünf-, sechs-, sieben-, acht-, neun-, zehn-, elf-, zwölfmal. Weiter zu zählen hatte er nicht gelernt, aber der Stein sprang weiter wie ein Flugfisch, er behielt ihn im Auge. Jetzt sah er noch etwas anderes dort draußen, einen Stock, einen Stein, er bewegte sich, er trieb auf ihn zu mit der siebten Welle, immer näher, und er stürzte sich wie ein Verrückter ins Wasser. Der Stock richtete sich auf und bekam ein Gesicht, das er kannte, Bergenhem reichte ihm den Stein, wobei er mit der anderen Hand anklagend einen Finger reckte. »Dieser Stein hat vier Millionen Jahre gebraucht, um an dieses Ufer zu gelangen«, sagte Lars und drohte mit dem Finger. »Und nun hast du ihn ins Wasser geworfen. Was hast du getan? Was hast du getan, Erik ?! Stell dir vor, wenn ich nicht da gewesen wäre. Dann wäre er zum Meeresboden gesunken. Vielleicht wäre er sogar gestorben. Hast du das nicht bedacht, Erik? Gestorben! Hast du an den Tod gedacht?« Das vom Tod musste er auch gesagt haben, aber dann war er auch schon wieder weg, der Stock musste wieder hinausgetrieben worden sein, wie immer das möglich war, und Winter begann sich selbst am ganzen Ufer zu suchen, er war jetzt selber verschwunden, war nirgends, er rief seinen Namen, aber er antwortete nicht. Er rie…
    »Erik? Erik?«
    »Ich weiß«, sagte er.
    »Erik? Was hast du gesagt?«
    »Ist doch klar, dass es ein Traum ist. Ich muss ihn nur erst finden. Ich komme wieder.«
    »Erik? Erik?«
    Es war nicht gut, dass Angela mit ihm zu sprechen versuchte, während er noch nicht die geringste Ahnung hatte, wo er sich befand. Er musste noch in der Nähe des Strandes sein. Und er musste sich erst selber finden, oder? Das Restaurant stand immer noch in Flammen, dort konnte er also nicht sein. Er war nicht in dem Pool, der auf der Promenade gebaut worden war, während er Steine warf. Einer der Griller kam heran und zog heftig an seiner Hand. Winter versuchte vergeblich, sich loszureißen. Der Mann war stark. Wer würde nicht stark werden, wenn er Monat für Monat Sardinen grillte, ganz zu schweigen von eingelegten Heringen. Jetzt zerrte er wieder. Es tat weh.
    »Aua! Lass los! Lass los!«
    »Erik! Wach auf, Erik!«
    Und er wurde wach. Er hatte die ganze Zeit geglaubt, wach zu sein, aber offenbar hatte er sich getäuscht. Dabei hatte er hellwach neben dem Bett gestanden, als würde er das Zimmer bewachen. Er hatte sich und Angela schlafen gesehen, eine stille Szene. Er am Fußende des Bettes hatte sich nicht gerührt. Die Schlafenden sahen so friedlich aus. Und ganz still. Als würden sie nie mehr aufwachen, als schliefen sie bis in alle Ewigkeit. Oder einer von beiden. Vielleicht nur einer von ihnen. Wer von beiden?
    »Ich war in Marbella«, sagte er. »Ich bin verschwunden. Ich bin am Venusstrand verschwunden.«
    »Verschwunden?«
    »Ich war weg.«
    »Es war ein Traum.«
    »Aber trotzdem.«
    »Es war ein Traum, Erik.«
    »Wie spät ist es?«
    »Warte …« Er hörte, wie sie sich im Bett bewegte, um auf den Wecker auf dem Nachttisch zu schauen. »Zwei.«
    »Ich muss etwas trinken.«
    Er stellte die Füße auf den Boden. Das Holz war weich und warm.
    »Du träumst immer häufiger«, sagte Angela.
    »Immer mehr Alpträume«, sagte er.
    Sie schwieg.
    »Ich entgehe ihnen nicht einmal mehr in der Nacht«, sagte er.
    Sie blieb stumm. Was sollte sie auch sagen. Er träumte nachts vom Tod, weil er im Wachen ständig an den Tod dachte. Welchen Sinn der Tod hatte. Er brauchte einen traumlosen Schlaf. Sonst würden die Kopfschmerzen wiederkommen, womöglich etwas Schlimmeres. Vielleicht würde er verrückt werden, wie im Traum, noch verrückter. Würde durch die Stadt stürmen und wie am Spieß schreien. Eine Revolte,

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