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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Abend. Er hatte das Auto ein Stück oberhalb der Bucht abgestellt und sich mit Hilfe der Stableuchte den Weg zum Strand hinunter gesucht. Die Wellen rollten mit einem zischenden Geräusch ans Ufer, regelmäßig wie die Zeit. Über ihm waren keine Wolken. Der Mond war ein Scheinwerfer, der das Meer beleuchtete, soweit das Auge reichte, ein Teppich aus Silber. Er sah die Konturen von Tärnskär und Kräcklingeholmen. Dorthin war er im vergangenen Sommer geschwommen. Das würde er im nächsten Sommer wiederholen, dann vielleicht zusammen mit Elsa. Alles würde wieder normal sein, so, wie es immer gewesen war.
    Er hob einen Stein auf, der sich kalt und glatt anfühlte, und schleuderte ihn flach über die Wasseroberfläche. Deutlicher als bei Tageslicht sah er ihn über das Wasser tanzen, kleine aneinandergereihte Explosionen aus Silber. Ein Stein weniger an seinem Strand, noch ein Verbrechen. Er hob einen zweiten Stein auf und warf ihn weit und hoch, hörte, wie er auftraf, sah aber nichts. Wurf mit kleinem Stein. Er spürte die Muskeln von der ungewohnten Bewegung in seinem Arm pochen. Damit hatte er ein wenig von der Unruhe, die er beim Verlassen des Holst-Hauses im Körper gespürt hatte, von sich geworfen. Doch der größte Teil der Unruhe blieb. Er hatte sich in sein Auto gesetzt und war durch die schmalen Straßen von Hovås ans Meer gefahren.
    Hier gab es noch Ruhe. Er hob einen weiteren Stein auf, ließ ihn jedoch in den Sand fallen. Weit draußen ertönte das Geräusch eines Dieselmotors, ein weiches Klopfen, das sich anhörte, als wäre es ein Teil der Natur. Eins mit Gottes Natur. Das wollte er werden, danach sehnten sich alle.

21
    N och war es nicht Mitternacht. Winter bereitete die eingelegten Heringe vor. Ihm wurde klar, dass es falsch gewesen war, auf den Schinken zu verzichten. Diesem heimlich vorgezogenen Heiligabend fehlte etwas, das Grillen des Schinkens, die erste Scheibe, noch warm aus der Backröhre, seine geheime Senfmischung, dazu Preiselbeerbrot, ein Flensburger Bier und einen schwedischen Aquavit aus dem Tiefkühlfach, sämig wie Öl. Das war Leben pur. Und er hatte sich dagegen entschieden.
    Er schob die Form mit den Heringen in den Backofen und blieb davor stehen. Es war wirklich eine stille Nacht. Keine Idioten, die alles missverstanden und auf dem Hof Raketen abschossen. Keine rasenden Autos auf der Vasagatan. Keine brennenden Autos an den Straßenkreuzungen. Kein Schusswechsel, heute Abend nicht.
    Jetzt fehlt nur noch Schnee. Wie schön wäre das, wenn Elsa und Lilly morgen früh aufwachten und die Dächer wären mit Schnee bedeckt. Das wäre das schönste Weihnachtsgeschenk. Wir hätten Zeit, am Vormittag ein bisschen im Park herumzulaufen. Angela würde natürlich den ersten Schneeengel machen. Die Mädchen waren stolz, dass sie eine Mutter hatten, die ein Engel war. Alle würden rote Wangen bekommen. Vielleicht würden sie eine Thermoskanne mit Kakao und Safransemmeln mitnehmen.
    Bei seiner Heimkehr war der Tannenbaum schon fertig geschmückt gewesen. Es war spät, aber Elsa hatte sich mit Hilfe ihres eisernen Willens wach gehalten, und er hatte um Entschuldigung gebeten. Während er die elektrischen Kerzen in den Zweigen befestigte, versuchte er alles zu vergessen, was nicht mit seiner Familie und dem Weihnachtsfest zusammenhing. Das Fest begann in der Sekunde, als er den Stecker in die Steckdose drückte. Die Lichter gingen an, Elsa schrie auf und klatschte in die Hände.
    Er träumte vom Strand. Er wusste, dass er träumte, das war das Merkwürdige. Als erzählte ihm jemand seinen eigenen Traum. Er sah sich am Ufer, kam sich selbst entgegen. Es war nicht sein Strand, kein nördlicher Strand. Es gab Palmen. Die Uferpromenade kannte er. Es war die Playa de Venus, und er war auf dem Weg zu sich selbst direkt unterhalb der alten Schiffswracks, wo sie in der Mittagszeit immer Sardinen grillten. Er sah den Rauch vom Strand weg in den Sonnendunst treiben, der von Afrika über das Meer kam. Es war noch keine Essenszeit, es war Morgen, es war falsch, die Sardinen jetzt zu grillen, ein fataler Fehler. Im Vorbeigehen schrie er: »Tauscht sie verdammt noch mal gegen Hering aus! Es ist doch Weihnachten! Da muss es eingelegten Hering geben, kapiert ihr das nicht, ihr dämlichen Andalusier? Es genügt, wenn man die Sardinen in Essig einlegt! Kapiert? Oder muss ich es euch erklären? Muss ich denn alles erklären?« Es war so ein richtig idiotischer Traum. Ein typischer Traum. Er setzte seinen Weg

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