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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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gekauft und sein Vater hatte etwas mit seinem Geld angestellt, was Winter nicht billigte. Bengt Winter hatte mehr Geld für sich behalten, als er durfte. Es war eher eine moralische als eine kriminelle Frage gewesen, in erster Linie hatte es sich um Ethik gehandelt. Anständiges Verhalten. Sie hatten den Kontakt abgebrochen. Er hatte ihn abgebrochen. Aber dahinter hatte es natürlich noch etwas gegeben. So ist es immer. Winter wusste nicht, was es war, er würde es nie erfahren. Er wollte es auch nicht wissen. Er hatte seinen Vater erst wenige Tage vor dessen Tod wiedergetroffen. Winter hatte Bengts und Sivs Haus auf der Pasaje José in Nueva Andalucia zum ersten Mal im Oktober 1999 besucht. Da war er noch keine vierzig gewesen. Er hatte das Gefühl, als wäre es unendlich lange her. Damals, an jenem Tag vor langer Zeit, war er mit dem Mietwagen durch Puerto Banús gefahren, am Kaufhaus Corte Inglés vorbei, das zweihundert Meter lang war, die Hügel hinauf, zwischen den Villen hindurch, hatte die Kreuzung erreicht, die ihm seine Mutter beschrieben hatte. Auf dem offenen Platz vor dem Supermercado Diego hatte er angehalten und die kleine Skizze studiert, die seine Mutter mit zittriger Hand gezeichnet hatte. Er schaltete die spanische Musik im Autoradio ab und stieg aus. Die Oktobersonne brannte vom Himmel. Es war noch keine zehn am Morgen, doch eine Digitalanzeige unten in Puerto Banús hatte schon neunundzwanzig Grad angezeigt, sekundenlang sogar dreißig. Er ging zu der Kreuzung, wo sich drei Straßen trafen. Gegenüber der kleinen Bushaltestelle führte die Calle Rosalía de Castro nach Norden. Dahinter sah Winter die Sierra Blanca. Von hier war der Gipfel deutlich zu erkennen, deutlicher als aus dem Krankenzimmer seines Vaters. Links von Winter lag auf einem fünf Meter entfernten Hügel Johnny’s Restaurant, neben der Clinica Dental, Rent-a-car. Hinter ihm, gegenüber von dem staubigen Parkplatz des Supermarktes, lagen das Ristorante Casa Italia und auf der anderen Seite eines rot gestrichenen Patio das Restaurante Romantico, eine Bank und ein Fitnesscenter. Das ist also das Zentrum meiner Eltern, hatte er gedacht, als er zum ersten Mal dort gestanden hatte. Hier kauften sie ihren Gin, die Tonicflaschen, Eier, Brot. Saßen sie abends in Johnny’s Straßenlokal und schauten über die Stadt? Er überquerte die Kreuzung und ging in nördlicher Richtung weiter. Hundert Meter aufwärts gab es einen kleinen Supermercado, vor dem Ständer mit Ansichtskarten aufgereiht waren. Die Karten waren von der Sonne ausgebleicht und gewellt, als würden sie schon seit Ewigkeiten in den Ständern stecken. Die Straße endete beim Bistro de la Torre, darunter ein Tal, einige kleine, ländliche Steinhäuser, wie ein Mahnmal an ein anderes Leben, ein härteres, schwereres Leben im schattenlosen Sonnenschein.
    Er konnte sich nicht erinnern, wie es jetzt aussah, obwohl er im Lauf der Jahre einige Male dort gewesen war. Warum musste er ausgerechnet in diesem Augenblick so detailliert an den Ort denken? Dafür gab es einen Grund. Im Moment wollte er nicht mit seiner Mutter darüber sprechen, aber irgendwann wäre es sicher unumgänglich. Sie sollte nicht davonkommen. Er hörte die Kinder im Wohnzimmer lachen und schaute auf die Uhr. Gleich musste er ins Schlafzimmer gehen, sich umziehen und, während die Erwachsenen die Kinder ablenkten, als Weihnachtsmann mit einem Sack, in dem einige Geschenke lagen, wieder herauskommen, ins Treppenhaus schleichen, die Tür vorsichtig schließen und dann klingeln.
    Lilly würde zunächst Angst haben, aber das würde sich legen. Elsa würde es wissen, aber nicht recht glauben, dass sie es nicht glaubte. Er war ein guter Weihnachtsmann. Hinterher würden alle erzählen, wie schade es war, dass Erik den Besuch des Weihnachtsmannes verpasst hatte. Warum musste er auch just in dem Moment hinausgehen, um eine Zeitung zu kaufen?
    In der Lasarettsgatan hatte ein Weihnachtsmann Feuer gefangen, in einer Wohnung aus den zwanziger Jahren im fünften Stock. Vielleicht lag es am Feuerwasser. Der Weihnachtsmann war stockbesoffen, als Gerda Hoffner und Johnny Eilig die Wohnung betraten. Sein Bart war nicht mehr weiß, er hatte Brandwunden im Gesicht. Zwei zu Tode erschrockene Kinder im Alter von acht und zehn Jahren hockten so weit wie möglich vom Weihnachtsmann entfernt auf dem Fußboden in einer Ecke. Eine Frau versuchte, beruhigend auf sie einzureden, aber sie hatte schon die Grenze der Kommunikationsfähigkeit

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