Der letzte Winter
fühlen doch, dass das Auto eiskalt ist«, sagte Rhodin. »Ich habe es noch nicht mal angelassen.«
»Was wollten Sie holen?«, beharrte Gerda Hoffner.
»Äh … eine Flasche. Mehr nicht.«
»Eine Flasche?«
»Eine Flasche Gin. Ich hab sie liegen lassen …« Rhodin verstummte. Er steckte eine Hand in die Tasche und zog einen Schlüsselbund heraus. Er drückte auf einen der Schlüssel und die Rücklichter flackerten auf. Rhodin öffnete die rechte hintere Tür, hob eine Decke an, nahm eine Flasche heraus und hielt sie hoch.
»Das ist mein Gin«, sagte er. Es klang ungefähr so, als sagte er »das ist meine Schwester« oder »das ist mein bester Freund«.
Der Schnaps leuchtete silbern im Schein von Johnnys Taschenlampenstrahl.
»Ich hab sie bewusst im Auto gelassen«, sagte Rhodin. »Hab mir eingebildet, ich würde den Abend ohne Schnaps schaffen. Ich hatte nur eine Flasche Wein, aber die war innerhalb einer halben Stunde leer. Dabei habe ich es so lange ich konnte hinausgezögert, sie zu öffnen.«
Für dieses Jahr war Weihnachten vorbei. Das stimmte nicht, nur Heiligabend war vorbei. Eine Viertelstunde nach Mitternacht. Es war der erste Weihnachtstag, in Großbritannien der richtige Weihnachtstag. Winter dachte an Steve Macdonald, den Freund und Kollegen in Croydon, der Wildnis südlich von London. Sie hatten gehofft, sich Neujahr zu treffen. Aber daraus würde nichts werden. Vielleicht später im Jahr, vielleicht zu Ostern. Erst einmal dies hier. Die DVD -Scheibe lag neben ihm auf dem Sofatisch. Er würde sie Torsten von der Spurensicherung übergeben. Doch sie würden nichts finden, was sie weiterbrachte. Weiter wohin? Es würde nur zu ihm, Winter, zurückkehren, genau wie der Film selber zu ihm gekommen war.
Siv, Lotta, Bim und Kristina hatten ein Taxi nach Hagen genommen. Sie waren vor einer halben Stunde gefahren. Das Taxi war rasch gekommen. Alle waren gleichermaßen verwundert gewesen.
Nach der Filmvorführung hatte er sich zu den anderen gesellt und versucht, ganz normal weiter Weihnachten zu feiern. Niemand hatte Fragen gestellt. Er hatte mit den Kindern gespielt und getan, was sich an Weihnachten gehört. Was war ihm auch anderes übriggeblieben? Im Augenblick konnte er gar nichts tun.
»Was hast du vor?«, fragte Angela.
Sie saßen bei einem Glas Gigondas im Halbdunkel des Wohnzimmers. So hielten sie es immer, entspannten sich nach der intensiven Weihnachtsfeierei bei einem guten Wein, lasen in dem Buch, das sie zu Weihnachten bekommen hatten, hörten die Platte, die sie geschenkt bekommen hatten. Aber jetzt las keiner von ihnen, und im Zimmer war es still.
»Mir die Filme ansehen«, antwortete er.
»Mach das im Dienst«, sagte sie, »nicht hier.«
Er antwortete nicht.
»Ich will das Zeug nicht im Haus haben!«, sagte sie scharf. »Hast du das gehört, Erik? Ich will diesen schrecklichen Scheiß nicht in meinem Heim haben.«
»Nein, nein.«
»Was geht da vor sich? Erst … die Leiche in Billdal. Und jetzt das!«
»Die Fälle hängen nicht zusammen«, sagte er. »Sie haben nichts miteinander zu tun.«
»Ach nein? Bist du dir so sicher?«
»Ja.«
»Ganz gleich, ob da Zusammenhänge bestehen oder nicht, es ist entsetzlich«, sagte sie.
Er hob das Glas. Der Wein schmeckte nach nichts. Er nahm noch einen Schluck. Seine Geschmacksnerven waren vermutlich von dem Ardbeg betäubt, den er vorher getrunken hatte. Aber das machte nichts.
»Jemand beobachtet uns«, sagte sie. »Jemand will, dass du es dir ansiehst, nicht wahr?«
»Ja.«
»Warum? Warum will er das?«
»Ich weiß es nicht, Angela.«
Eigentlich hatte er ihr nichts erzählen wollen, nicht von dem dritten Film. Der Bühne. Das dritte Zimmer. Von den beiden ersten wusste sie ja schon. Aber dann war ihm bewusst geworden, dass er sie jetzt brauchte. Er brauchte jemanden, mit dem er sprechen konnte. Auf der Stelle. Auch er hatte Angst.
»Weil er ein wahnsinniger Mörder ist«, sagte sie. »Darum! Er ist ein Mörder, er wird wieder morden, und er will es dir mitteilen.«
Winter schwieg.
»Er will dir sogar mitteilen, wo es geschieht! Herrgott, Erik! Ist es so? Ist es wirklich so?«
»Ich fürchte ja. Leider.«
»Leider? Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
»Was soll ich denn noch sagen?«
»Hast du so etwas schon einmal erlebt, Erik? Ist dir so etwas schon einmal passiert?«
»Nein … wie meinst du das?«
»Dass du über einen … zukünftigen Mord informiert wirst? Dass der zukünftige Tatort sogar gefilmt
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