Der Leuchtturm von Alexandria
blendenden Steine des Pflasters. Dann blieb ich, wenn irgend möglich, im Haus: in meinem eigenen Zimmer oder bei irgendwelchen Patienten. Die Truppen marschierten vorbei, die Harnische klirrten. Die Soldaten hielten ihre Schilder vor die Brust und schlugen auf jeden ein, den sie erblickten. Der Lärm verwandelte sich in lautes Geschrei, brach ab, verebbte in der stillen Mittagshitze. Dann ging ich hinaus und kümmerte mich um die Verwundeten. Am schlimmsten war es, als eine Menschenmenge versuchte, den Soldaten Petrus zu entreißen, der fortgeführt werden sollte. Damals hinterließen die Truppen 152 Tote in den Straßen und ich weiß nicht wie viele Verwundete, von denen ich viele behandelte. Ich vergaß alles, was ich über Krankheiten und komplizierte Arzneien wußte, und verbrachte den ganzen Tag damit, gebrochene Knochen zu schienen, Wundschocks und Quetschungen zu behandeln, Schwert und Messerwunden zu vernähen. Das Opium ging mir aus, und ich bekam kein neues mehr. Der Markt war die meiste Zeit über geschlossen. Ich verabreichte Nieswurz und lieh mir von Philon Arzneimittel; seine Patienten waren nicht in dem gleichen Maße betroffen. Dann begannen die Behörden, die Verhafteten zu verhören. Einige wurden hingerichtet, einige lediglich gefoltert und anschließend entlassen. Gerissene Muskeln und Sehnen, auf der Folterbank ausgerenkte Glieder, die Spuren von Peitschen, Ruten und Forken, verbrannte Haut, ausgerissene Zähne und ausgestochene Augen – alles mußte ich behandeln. Die Hospitäler waren geschlossen, die Mönche entweder verhaftet oder geflohen. Doch schließlich öffnete der Markt wieder, und ich konnte etwas Opium kaufen.
Theophilos bekamen sie nicht zu fassen. Der Dekan war während der ersten Verhaftungswelle in aller Stille untergetaucht und hatte sich in einem der vorbereiteten Verstecke eingerichtet. Von dort aus versuchte er, andere führende Anhänger von Athanasios aus der Stadt zu schmuggeln. Er ließ mich oft holen, um irgendwelche Patienten zu behandeln. Doch seine größte Sorge galt Erzbischof Petrus.
»Wenn sie ihn töten«, meinte er mir gegenüber, »haben wir keinen Erzbischof mehr, der nach den Gesetzen der Kirche geweiht ist, dann haben wir keine größeren Ansprüche mehr als die Anhänger des Lucius. Und unser Fall wird nur noch heikler, wenn wir das Westreich um Unterstützung bitten. Man wird uns schwerlich erlauben, eine Versammlung einzuberufen und einen anderen Erzbischof zu wählen. Wir müssen ihn da herausholen.« Doch Petrus wurde in der Zitadelle gefangengehalten, die auf Kap Lochias lag und von der übrigen Stadt durch eine Mauer getrennt war. Niemand hatte die Erlaubnis erhalten, ihn zu besuchen. Wir konnten nur hoffen, daß er noch am Leben war: Er bekleidete einen hohen Rang und konnte nicht ohne Gerichtsverfahren gefoltert oder hingerichtet werden. Und es gab nichts, dessentwegen er wirklich verurteilt werden könnte, deshalb war er wahrscheinlich noch nicht in Gefahr. Doch Theophilos’ Blick verdüsterte sich immer mehr. »Auch Bischof Paulus von Konstantinopel wurde ermordet«, sagte er. »Sie haben ihn sechs Tage lang ohne Essen oder Trinken in eine dunkle Zelle gesperrt; als sie nachsahen und ihn immer noch am Leben fanden, haben sie ihn erdrosselt. Aber ich glaube, Petrus würden sie nicht erdrosseln müssen. Sechs Tage würde er gar nicht überleben. Und wenn er stirbt, können sie sagen, er sei sowieso krank gewesen, und behaupten, sie seien schuldlos an seinem Tod.« Dann richtete Theophilos sich auf und sah mich mit einem schwachen Glänzen in den Augen nachdenklich an.
»Immerhin, vielleicht lassen sie ja seinen Arzt zu ihm. Nur um zu beweisen, daß es nicht ihre Schuld war, wenn er stirbt.«
»Sie würden mich durchsuchen«, wandte ich ein.
»Du müßtest ja überhaupt nichts bei dir haben«, erwiderte Theophilos und erwärmte sich immer mehr für den Plan.
»Jedenfalls nicht beim erstenmal. Es würde uns schon sehr helfen, wenn wir wissen, wo genau sie ihn festhalten.«
Ich sagte nichts. Petrus war mein Patient, und ich fühlte mich für ihn verantwortlich. Ich hatte den alten Mann gerne, und der Gedanke daran, daß er angekettet im Gefängnis lag und vielleicht dem Hungertod preisgegeben war, tat mir weh. Doch wenn man mich durchsuchte, würde man mich entlarven. Es wäre mein Verderben und würde der Kirche überhaupt nichts nützen, da ich unzweifelhaft sofort nach Ephesus gebracht würde.
»Was ist los?« fragte Theophilos
Weitere Kostenlose Bücher