Der Leuchtturm von Alexandria
die Vorderseite des künstlichen Hügels empor, flankiert von Dattelpalmen und großen Büschen purpurfarbener Zistrosen. Der Tempelkomplex selbst war durch eine Mauer vom Rest der Stadt getrennt, doch das Tor stand offen und war unbewacht. Ich ging hindurch und befand mich auf einem gepflasterten Hof. Es war jetzt beinahe Mittag, die Sonne brannte erbarmungslos auf das weiße Pflaster und blendete die Augen. Zwischen weiteren Dattelpalmen rauschte kühl und erfrischend ein Brunnen. Daneben stand der Tempel, seine Säulen waren bemalt und vergoldet, seine Fassade war mit Bildern von Serapis, Iris und ihrem Sohn Harpokrates, den bedeutendsten der alten ägyptischen Götter, geschmückt.
Ich ging nicht in das Innere des Tempels: Als Christin hatte ich dort nichts zu suchen. Aber er war umgeben von vielen Gebäuden – von Lesehallen, Wohnhäusern und der Bibliothek, von Arkaden und Gärten –, und die meisten von ihnen gehörten zu der Institution, die die Alexandriner immer noch das »Museum« nennen. Ich hatte einige Empfehlungsschreiben bei mir, die Thorion und ich aufgesetzt hatten und die an einige der führenden Ärzte der medizinischen Fakultät gerichtet waren. Und so sah ich mich nach jemandem um, dem ich sie geben konnte.
Ich betrat eines der größeren Nebengebäude, das einen eher öffentlichen Eindruck machte. Es war eine Bibliothek: An den Wänden zogen sich Bücherregale hin. In der Mitte des Raumes saß ein schlanker, dunkelhäutiger Alexandriner an einem Schreibpult. Um seinen Hals trug er eine Kette mit einem bronzenen Schreibkästchen, dazu ein offiziell aussehendes Siegel. Sorgfältig notierte er gerade etwas auf ein Stück Papyrus. Er war wahrscheinlich ein Sekretär, ein Beamter. Aufgeregt ging ich zu ihm und fragte, ob ich dem höchst geschätzten Adamantios meine Aufwartung machen könne (er war der Dekan der medizinischen Fakultät).
»Was willst du von ihm?« fragte der Sekretär gereizt, legte seine Feder nieder und sah mich ärgerlich an. Dann warf er mir einen zweiten Blick zu, bemerkte meinen Aufzug und meine glatte Gesichtshaut, und sein Mund verzog sich verächtlich. Ich kannte diesen Blick allmählich recht gut. Er folgte fast immer, sobald man glaubte, mich als Eunuchen erkannt zu haben. Mir war bis dahin gar nicht klar gewesen, wie sehr Eunuchen gehaßt werden. Alle Welt macht sie höchstpersönlich für sämtliche Krankheiten des Kaiserreichs verantwortlich und behauptet, sie seien eigentlich nur importierte Sklaven, hätten jedoch das Ohr des Kaisers und ließen ehrliche Männer gar nicht erst bis zu ihm vordringen. Man sagt, sie seien nur halbe Männer, dafür aber in hohem Maße habgierig und korrupt – sie forderten ein Bestechungsgeld, nur um einem zu sagen, wie spät es ist. Dabei spielte es überhaupt keine Rolle, daß ich gar kein kaiserlicher Hofbeamter war. Ich wurde genauso gehaßt, als wäre ich einer, und man grinste höhnisch wegen meines Mangels an Männlichkeit, als hätte ich mich freiwillig dazu entschlossen, mich kastrieren zu lassen, nur um Bestechungsgelder zu kassieren. Ein bißchen irritiert erklärte ich, warum ich Adamantios gerne sprechen wollte. Der Sekretär rümpfte verächtlich die Nase, grinste hämisch, wies mich jedoch in eine Amtsstube, die an einem der Bibliotheksinnenhöfe lag. Es war ein kleiner, angenehm kühler Raum mit gemauerten Wänden. An einer der Wände stand ein Schreibpult, daneben ein Bücherschrank. Es war niemand da, deshalb setzte ich mich und wartete.
Nach etwa einer Stunde kam ein großer, dunkelhäutiger Mann herein. Er hatte einen mit Fransen besetzten Umhang um, trug einen kleinen Hut auf dem Kopf und sprach lautstark auf zwei vornehm gekleidete Begleiter ein. Ich erhob mich respektvoll, und er fragte mich, was ich wünschte.
»Hochgeschätzter Herr«, sagte ich, »ich bin Chariton, ein Eunuch aus Ephesus, und ich warte hier, um mit dem vortrefflichen Adamantios zu sprechen. Ich möchte mich gerne in der Heilkunst ausbilden lassen.«
»Ich bin Adamantios«, erwiderte der Mann und sah mich mißtrauisch an. »Habe ich schon von dir gehört? Ich erinnere mich nicht an den Namen…«
»Ich habe einige Empfehlungsschreiben«, sagte ich eifrig und reichte sie ihm. Er nahm sie, warf einen Blick hinein und runzelte die Stirn.
»Warum hat dein Wohltäter nicht etwas im voraus vereinbart?« fragte er mich. »Wir sind sehr beschäftigt um diese Jahreszeit, und ich glaube eigentlich nicht, daß du, hm, aus dem richtigen Holz
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