Der Lichtritter: 1 (Oleipheas Schicksal) (German Edition)
weshalb er überhaupt hier war. Manche
der Bücher waren vollkommen vergilbt und schienen so alt zu sein, dass sie
bereits beim bloßen Berühren zu Staub zerfallen würden, wovon es in der
unterirdischen Halle schon mehr als genug gab. An manchen Regalen waren Kerzen
befestigt, die Thalon anzündete, um so erkennen zu können, wo sie schon vorbei
gegangen waren. Einmal zog Thalon eines der Bücher, welches den Titel Die
kleine Kräuterschule besaß, heraus und schlug es in der Mitte auf. Es waren
Buchstaben der alten Sprache, die sich jedoch nur geringfügig von der heutigen
Sprache unterschied. Begeistert begann Thalon vorzulesen: „Wenn dann das
Kirlenkraut mit dem Tollkirschsaft und den anderen Zutaten vermischt wird,
lasset das Gebräu einen Tag ruhen und am nächsten Tage schon, mag es dazu
verwendet werden, um die lästigen Grielschnecken und anderes Ungeziefer von den
Pflanzen fern zuhalten.“ „Das weiß doch mittlerweile so gut wie jedes Kind, wie
man so etwas herstellt“, meinte Emilia teilnahmslos. „Heute weiß man das, aber
damals schien das noch kaum jemand gewusst zu haben“, gab Thalon bezaubert
zurück, während er auf der Rückseite des Buches nach dem Erscheinungsjahr
suchte. „Sechstes Zeitalter einhundertdrei! Das Buch ist also mehr als
einhundert Jahre alt“, folgerte er, noch immer bewegt von den Schätzen des
Wissens, die hier lagerten. Scheinbar waren sie seit mehren Jahrzehnten die
ersten Menschen, die die Bibliothek betraten. Es war ein unglaubliches Gefühl
einen Blick in die alten Bücher hineinzuwerfen und für Thalon war es, als sei
an diesem Ort die Zeit stehen geblieben. Erst als sich die Müdigkeit in ihm
bemerkbar machte, realisierte er, dass sie nun schon seit mehreren Stunden
durch die Gänge gestreift sein mussten. Draußen war es wahrscheinlich schon
wieder hell und man würde das Massaker im Schlafgemach bereits bemerkt haben.
Es war nur ein Zufall, dass Thalon wieder einmal ein paar der Bücher wahllos
heraus nahm und sie aufschlug. Doch eines davon schien genau das Buch zu sein,
nachdem er suchte. Gebannt und erwartungsvoll blätterte er durch die Seiten und
stellte fest, dass es tatsächlich das gleiche Buch war, welches Anthlo in
seinem Turm besaß. Als er schließlich an die Seite mit der Beschreibung des
Lichtritters kam, machte sein Herz Freudensprünge. Schnell blätterte er weiter
zu den Seiten, die in Anthlos Buch herausgerissen worden waren. Tatsächlich war
dort eine Abbildung des Totenschwerts und daneben waren alle Informationen
niedergeschrieben, die Thalon brauchte. Ohne darüber nachzudenken, riss er die
Seite heraus und packte sie in seinen ledernen Beutel, indem sich auch schon
der Ring des Königs befand. Jetzt, da sein Ziel erfüllt war, konnten sie sich
ausruhen. „Genug für heute! Wir sollten uns hier irgendwo eine ruhige Stelle suchen
und erst einmal Kraft tanken“, schlug Thalon gähnend vor. Emilia, die
ihrerseits kaum noch die Augen offen halten konnte, stimmte schwach nickend zu.
Einige Bücher, die sie aus den Regalen geholt hatten, dienten ihnen schließlich
als notdürftige Pritsche. Und obwohl das Liegen auf den alten Wälzern hart und
unbequem war, spürten beide eine befreiende Ruhe, als sie sich darauf
niederließen. Nachdem Thalon noch eine Weile gedankenverloren an die dunkle
Decke der Bibliothek gestarrt hatte, schlief er friedlich ein.
Ein Geräusch ließ ihn abrupt hochfahren. Wie
lange hatte er geschlafen? War es bereits Mittagszeit? Er konnte es nicht
sagen, hatte jegliches Zeitgefühl verloren, seitdem sie in die Bibliothek hinab
gestiegen waren. Er brauchte erst einmal einen kurzen Augenblick, bis er sich
wieder daran erinnerte, dass er und seine junge Begleiterin unter der Erde
waren. Während er seine noch müden Augen massierte, fiel sein Blick auf Emilia.
Das Mädchen schlief noch. Sie wirkte so ruhig und sanftmütig ,
lag regungslos auf den Büchern und ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem
gleichmäßigen Rhythmus. Ihr war nicht anzumerken, welch Leid und Schmerz sie in
der Nacht erleben musste. Wieder war das Geräusch zu hören, welches ihn aus
seinem wohlverdienten Schlaf gerissen hatte. Sollte tatsächlich jemand den
Eingang gefunden haben? „ Das
ist unmöglich. Ohne den Ring kann man die Tür nicht öffnen“, stammelte Thalon
vor sich. Langsam rappelte er sich auf. Kaum stand er, begann sein Rücken zu
schmerzen. Das Liegen auf den Büchern war ihm wohl doch nicht so gut bekommen,
wie er vor dem
Weitere Kostenlose Bücher