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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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in den Brief setzen, und daß in neunundneunzig von hundert Fällen solche Briefe nichts als grausamer Schwindel seien. Und sie reagierte, als habe er nichts dergleichen gesagt.
    »Lassen Sie mich das Haar sehen«, sagte sie.
    Widerstrebend zog er den Umschlag mit der Locke aus seiner Brieftasche. Sie sog scharf die Luft ein, als sie die kleine goldene Locke sah. Bis jetzt war sie sorgsam mit Pinzetten angefaßt worden, aber sie nahm sie, streichelte sie und preßte sie an den Mund. »Kommen Sie mit rauf.«
    Er folgte ihr nach oben in Johns Zimmer und bemerkte sofort, daß das Bett des Kindes seit seinem Verschwinden nicht gemacht worden war. Aber das Zimmer war sehr hübsch ausgestattet, voller Spielzeug und mit einer wunderschönen, teuren Tapete, auf der sich Dürersche Tiere tummelten. So sehr sie auch den Rest des Hauses vernachlässigen mochte, dieses Zimmer hatte sie liebevoll eingerichtet und wahrscheinlich selbst tapeziert. Burdens Meinung von ihr als Mutter stieg.
    Sie ging zu einer kleinen blaugestrichenen Kommode hinüber und holte Johns Haarbürste. Ein paar feine blonde Härchen hatten sich zwischen den Borsten verfangen, und mit ernsthafter, konzentrierter Miene verglich sie sie mit der Locke in ihrer Hand. Dann wandte sie sich um und lächelte strahlend.
    Burden hatte sie noch nie richtig lächeln sehen. Bisher war ihr Lächeln immer kurz und verwaschen gewesen, wie eine fahle Sonne, dachte er plötzlich, die nach einem Regen hervorkam. Solche Metaphern waren ihm normalerweise fremd, zu ausgefallen, und gar nicht seine Art. Doch das Bild kam ihm jetzt, als er die volle Macht ihres strahlenden, glücklichen Lächelns zu spüren bekam, und wieder sah er, wie schön sie war. »Es ist dasselbe, nicht wahr?« sagte sie, und das Lächeln verschwand, während sie fast flehend wiederholte: » Nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht.« Es sah sicher sehr ähnlich aus, doch Burden war sich nicht sicher, ob er wollte, daß es dasselbe Haar war, oder nicht. Wenn dieser Mann John wirklich bei sich hatte, und wenn er ihm tatsächlich eine Locke abgeschnitten hatte, war es dann wahrscheinlich, daß er ihn gehen lassen würde, ohne ihm etwas anzutun? Würde er riskieren, daß der Junge ihn identifizieren konnte? Andererseits hatte er kein Geld verlangt... »Sie sind die Mutter«, murmelte er. »Ich würde mir nicht zutrauen, zu sagen...«
    “Ich weiß, daß er in Sicherheit ist«, sagte sie. »Ich fühle es. Ich muß nur noch zwei Tage durchstehen.«
    Er brachte es nicht übers Herz, danach noch etwas zu sagen. Nur ein Ungeheuer würde solch strahlendes Glück zerstören wollen. Damit sie die letzten Zeilen nicht lesen konnte, wollte er ihr den Brief aus der Hand nehmen, doch sie las zu Ende.
    »Ich habe von solchen Fällen gehört«, sagte sie, und etwas von der früheren Furcht kehrte in ihre Stimme zurück, während sie ihn anblickte, »und was die Polizei dann macht. Sie würden nicht - ich meine, Sie würden doch nichts unternehmen, wovor er Sie warnt? Sie würden nicht versuchen, ihn in eine Falle zu locken? Weil er John dann...«
    »Ich verspreche Ihnen«, sagte er, »daß wir nichts tun werden, was Johns Leben in irgendeiner Weise gefährden könnte.« Ihm war aufgefallen, daß sie keine haßerfüllte Bemerkung über den Briefschreiber gemacht hatte. Andere Frauen an ihrer Stelle hätten herumgewütet und nach Rache geschrien. Sie war nur von Freude erfüllt gewesen. »Wir werden am Montag früh um halb zehn hingehen, und wenn er da ist, werden wir ihn zurückbringen.«
    »Er wird dasein«, sagte sie. »Ich traue diesem Mann. Ich habe das Gefühl, er ist aufrichtig. Wirklich, Mike, das habe ich.« Sein Vorname aus ihrem Mund trieb ihm das Blut ins Gesicht. Er merkte, daß seine Wangen brannten. »Wahrscheinlich ist er furchtbar einsam«, meinte sie sanft. »Ich weiß, was es heißt, einsam zu sein. Wenn John ihn ein paar Tage aus dieser Einsamkeit herausgerissen hat, so gönne ich ihm John.«
    Es war unglaublich, und Burden konnte es nicht begreifen. Wäre es sein Sohn, sein John, er hätte den Mann am liebsten umgebracht, ihn langsam und qualvoll sterben sehen. Ja, seine Empfindungen dem Briefschreiber gegenüber waren derart heftig, daß es ihn selbst erschreckte. Wenn ich den zwischen die Finger bekäme, dachte er, nur ein paar Minuten allein in der Zelle mit ihm, bei Gott, und wenn es mich den Job kostete... Er riß sich aus seinen Gedanken und sah, daß ihr Blick auf ihm ruhte, gütig, sanft und

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