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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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vielleicht auch die Anforderungen des ständigen, anstrengenden Tanzens hatten ihren Tribut gefordert, wie auf den Nahaufnahmen zu sehen war. Für Burden hatte das stark geschminkte, herzförmige Gesicht mit dem glatt geteilten schwarzen Haar keinen Reiz, aber er machte seiner Tochter zuliebe ein paar anerkennende Bemerkungen, während er die Seiten umblätterte.
    Es gab Szenenfotos aus Ballettfilmen, Schnappschüsse des Stars bei sich zu Hause oder bei gesellschaftlichen Auftritten, Bilder, auf denen sie die großen, klassischen Rollen tanzte. Er war jetzt beinah durch.
    »Du hast sie wirklich hübsch eingeklebt, Liebes«, sagte er zu Pat und drehte die letzte Seite um.
    Ein Leonie-West-Fan hätte nur sie gesehen, eine großartige Erscheinung in einem bodenlangen, vor Goldstickerei starren Umhang. Burden bemerkte sie kaum. Er blickte auf die Menge von Freunden, aus der sie hervorgetreten war, und sein Herz klopfte dumpf. Genau hinter der Tänzerin, am Arm eines Mannes und teilnahmslos mit scheuer Ängstlichkeit lächelnd, stand, in ein schwarz-goldenes Tuch gehüllt, eine rothaarige Frau.
    Er mußte die Überschrift nicht lesen, aber er las sie. »Aufgenommen bei der Premiere von ‘La Fille Mal Gardee’ im Convent Garden, Miss Leonie West mit (rechts) dem Schauspieler Matthew Lawrence und seiner Frau Gemma, 23.« Er sagte nichts, sondern klappte das Buch rasch zu und lehnte sich zurück. Dabei schloß er die Augen wie bei einem plötzlichen Schmerz.
    Keiner nahm Notiz von ihm. John wiederholte den Beweis seines Lehrsatzes, lernte ihn auswendig, und Pat hatte ihr Buch genommen, um es wieder in einer geheimen Schatztruhe zu verstauen. Es war neun Uhr.
    Grace sagte: »Kommt, ihr beiden, ins Bett.«
    Die üblichen Proteste folgten. Burden sagte die nachdrücklichen Worte, die man von ihm erwartete, aber er sagte sie ohne Überzeugung, es war ihm nicht so wichtig, ob seine Kinder den nötigen Schlaf bekamen oder nicht. Er nahm sich die Abendzeitung, die er noch nicht gelesen hatte. Die Worte waren nur schwarzweiße Muster, Hieroglyphen, so bedeutungslos, wie sie es für jemanden gewesen wären, der nie lesen gelernt hatte.
    Grace kam von ihrem Gutenachtkuß bei Pat zurück. Sie hatte ihr Haar gekämmt und die Lippen nachgezogen. Er sah es, und Widerwille ergriff ihn. Das war dieselbe Frau, die er noch vor einer halben Stunden hatte umwerben wollen, um sie eventuell zu seiner zweiten zu machen. Er mußte verrückt gewesen sein. Plötzlich sah er ganz klar, daß seine Vorstellungen den Abend über Irrsinn gewesen waren, von ihm selbst heraufbeschworene Phantastereien, und seine Realität war das, was ihm als Irrsinn erschienen war.
    Er konnte Grace niemals heiraten, denn bei all seinem Betrachten, Studieren und Bewundern hatte er vergessen, was in jeder glücklichen Ehe vorhanden sein muß, was bei Rosalind Swan so augenscheinlich war. Er mochte Grace, er fühlte sich wohl in ihrer Gegenwart, sie entsprach seiner Vorstellung einer idealen Frau, doch er fühlte nicht eine Spur von Begehren für sie. Der Gedanke, sie zu küssen oder sogar weiterzugehen, trieb ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
    Sie hatte ihren Stuhl näher ans Sofa gerückt, wo er saß, legte ihr Buch beiseite und sah ihn erwartungsvoll an, wartete auf das Gespräch unter Erwachsenen, den Austausch von Gedanken, der ihr den ganzen Tag über verwehrt blieb. Doch sein Einfühlungsvermögen ihr gegenüber war so kümmerlich, er nahm so selbstverständlich an, sie sei mit der Welt, die er ihr bot, zufrieden, daß ihm gar nicht in den Sinn kam, sie könne sich durch seine Handlungsweise womöglich gekränkt fühlen.
    »Ich gehe noch mal weg«, sagte er.
    »Was, jetzt?«
    »Ich muß gehen, Grace.«
    Nun merkte er es. Bin ich so langweilig? fragte ihr Blick. Ich tue alles für dich, halte dein Haus in Ordnung, kümmere mich um deine Kinder, ertrage deine Launen. Bin ich wirklich so langweilig, daß du nicht einen einzigen Abend mal ruhig mit mir zusammensitzen kannst?
    »Tu dir keinen Zwang an«, sagte sie laut.

11
    Der Regen hatte aufgehört, und dichter Dunst lag über der Landschaft. Schwere Tropfen fielen regelmäßig und dumpf von den Ästen, so daß man den Eindruck hatte, es regnete noch immer. Burden bog in die Fontaine Road ein und wendete sofort wieder. Daß man seinen Wagen nachts vor ihrem Haus sehen könnte, war ihm plötzlich gar nicht recht. Die ganze Straße würde auf Beobachtungsposten sein, bereit, Gerüchte zu verbreiten und

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