Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
hatte sie eine Verabredung nicht einhalten können, weil es im Krankenhaus einen Notfall gab. Aber am nächsten Tag hatte sie immer angerufen oder kurz geschrieben, weshalb.
Mike war nicht ihr Liebhaber, sondern nur ihr Schwager. Hieß das, er schuldete ihr nichts, nicht mal normale Höflichkeit? Und hatte man das Recht, ohne weiteres seine Kinder zu versetzen, auch wenn der Sohn kurz vor Mitternacht vor Aufregung zitterte, weil er nicht glauben konnte, daß er seine Algebraaufgabe richtig hatte, und der alte Parminter, sein Mathematiklehrer, ihn andernfalls nachsitzen lassen würde?
Sie briet Eier und Schinken für alle und legte im Eßzimmer ein frisches Tischtuch auf. Nicht zum erstenmal wünschte sie, ihre Schwester wäre nicht so eine exzellente Hausfrau gewesen, so korrekt und beinah perfekt in allem, was sie tat, aber zumindest bequem genug, das Frühstück in der Küche zu servieren. Sich mit Jean messen zu müssen war nur eine der Bürden, die sie zu tragen hatte.
Ihr Gesicht wurde hart, als Mike herunterkam, so etwas wie einen Gruß in Richtung der Kinder grummelte und ohne ein Wort seinen Platz am Tisch einnahm. Er würde also nichts über gestern abend sagen. Nun, dann eben sie.
»Deine Algebra war völlig in Ordnung, John.«
Das Gesicht des Jungen hellte sich auf, wie immer, wenn Burden mit ihm sprach.
»Dachte ich mir. Ist mir eigentlich auch nicht so wichtig, aber der alte Minty läßt mich nachsitzen, wenn ich’s nicht richtig habe. Du kannst mich wahrscheinlich nicht mit zur Schule nehmen.«
»Zu viel zu tun«, sagte Burden. »Der Fußweg tut dir gut.« Er lächelte, wenn auch nicht allzu freundlich, zu seiner Tochter hinüber. »Und dir auch, mein Fräulein«, fügte er hinzu. »Also, ab mit euch. Es ist beinah halb.«
Normalerweise ging Grace nicht mit ihnen bis zur Tür, aber heute tat sie es, um die Härte ihres Vaters wiedergutzumachen. Als sie zurückkam, war Burden bei seiner zweiten Tasse Tee, und bevor sie sich bremsen konnte, war sie in eine lange Tirade über Johns Nerven und Pats Befremdung und die Art und Weise, wie er sie alle allein ließ, ausgebrochen.
Er hörte sie bis zu Ende an, dann sagte er: »Weshalb können Frauen -«, er korrigierte sich, machte die unvermeidliche Ausnahme -, »die meisten Frauen nicht begreifen, daß Männer arbeiten müssen? Wenn ich nicht arbeiten würde, Gott weiß, was dann mit euch allen passieren würde.«
»Hast du auch gearbeitet, als Mrs. Finch dich im Cheriton Forest in deinem Auto sitzen sah?«
»Mrs. Finch«, brauste er auf, »soll sich um ihre eigenen verdammten Angelegenheiten kümmern!«
Grace drehte ihm den Rücken zu. Sie merkte, daß sie langsam bis zehn zählte. Dann sagte sie: »Mike, ich verstehe ja, ich kann mir vorstellen, was du empfinden mußt.«
»Das bezweifle ich.«
»Nun, ich denke, ich kann es. Aber John und Pat können es nicht. John braucht dich, und er braucht dich fröhlich und sachlich und - und wie du früher warst. Mike, könntest du nicht heute abend mal früh nach Hause kommen? Es gibt einen Film, den die beiden sehen wollen. Er fängt erst um halb acht an, so daß du nicht vor sieben hier sein müßtest. Wir könnten alle gemeinsam gehen. Es würde ihnen so viel bedeuten.«
»Also gut«, sagte er. »Ich werde tun, was ich kann. Schau nicht so, Grace. Ich werde um sieben dasein.«
Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie tat etwas, was sie seit seiner Heirat nicht mehr getan hatte, sie beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Wange. Dann fing sie rasch an, den Tisch abzuräumen. Ihr Rücken war ihm zugekehrt, so daß sie nicht sah, wie er erschauerte, und wie er die Hand ans Gesicht hob, als sei er gestochen worden.
Gemma Lawrence hatte saubere Jeans an und dazu einen sauberen, dicken Pullover. Ihr Haar war mit einem Band zusammengehalten, und sie roch nach Seife wie ein sauberes, artiges Kind.
»Ich habe die ganze Nacht geschlafen.«
Er lächelte sie an. »Ein Hoch auf Dr. Lomax«, sagte er.
»Suchen sie noch?«
»Aber sicher. Hab ich es Ihnen nicht versprochen? Wir haben eine ganze Armee von Polizisten aus den angrenzenden Bezirken ausgeliehen.«
»Dr. Lomax war sehr nett. Wissen Sie, was er mir erzählt hat? Als er noch in Schottland wohnte, bevor er hierherkam, war sein eigener Sohn mal verschwunden, und sie haben ihn in einer Schäferhütte schlafend gefunden, den Schäferhund im Arm. Er war meilenweit gelaufen, und dieser Hund hatte ihn gefunden und sich um ihn gekümmert wie um ein
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