Der Liebe eine Stimme geben
glatte, stumpf gewordene silberne Herz und hält es in der hohlen Hand. Sie und Jimmy küssen sich. Sie und Jimmy sind verliebt. Sie studiert dieses Bild von sich und Jimmy, und es ist, als würde sie zwei andere Leute sehen, als wären es alte Freunde, die sie früher einmal gernhatte, Freunde, zu denen sie längst den Kontakt verloren hat und die weit weggezogen sind. Ihre Stimmung sinkt. Sie hat dieses Medaillon jahrelang jeden Tag getragen, und sie hat es geliebt. Aber irgendwann, sie kann sich nicht mehr erinnern, wann genau, begann das silberne Herz stumpf zu werden, und was früher einmal neu und romantisch und ausgefallen aussah, kam ihr auf einmal alt und langweilig und kindisch vor. Sie wurde es leid, es zu tragen, und packte es weg.
Vorsichtig, ohne sich aufzurichten oder zu weit zur Seite zu treten, zerrt sie ihre Box zum oberen Ende der Leiter, dann trägt sie sie hinunter und ins Schlafzimmer. Die Box auf der Hüfte balancierend schiebt sie die Kleiderschranktür auf und stellt die Box auf Jimmys Seite ab. Sie sucht sich Schreiben in Cafés und ihre alten Notizbücher, darunter das unbeschriebene, heraus und legt sie auf ihren Nachttisch. Sie nickt. Dann legt sie sich das Medaillon um den Hals, reibt das silberne Herz zwischen den Fingern und dreht sich um, um ihr Erscheinungsbild im Spiegel an der Tür zu überprüfen.
Das bin ich.
Bereit fürs Salt.
ACHT
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Es ist die Stunde vor Sonnenuntergang am Fat Ladies Beach, und Olivia geht mit ihrer Kamera in der Hand spazieren. Sie geht jeden Abend an diesem Strand spazieren, und inzwischen versteht sie, warum Fotografen diese Tageszeit die magische Stunde nennen. In den letzten Minuten des Tages erhellt die Sonne dieses Fleckchen Erde vom Horizont her anstatt genau von oben und taucht alles in einen weichen, diffusen Schimmer. Die Farben sehen satter aus, golden, romantisch. Magisch.
Olivia ist den ganzen Frühling ohne ihre Kamera spazieren gegangen, ohne Inspiration. Alles war grau in grau. Aber dann, an diesem Wochenende, schien sich das alles beherrschende Grau zu lichten und endgültig zu verschwinden, als wäre es für Nantucket endlich warm genug, um seinen grauen Wintermantel zu öffnen und abzulegen, sodass die verblüffende Schönheit dieses Orts, vor allem um diese Stunde, wieder zum Vorschein kommt. Die bemerkenswerten Blautöne des Himmels, der in den Ozean übergeht, die frischen, apfelgrünen Halme des Strandgrases, der glitzernde Sand und bald der atemberaubende Sonnenuntergang, eine immer kräftiger blutorangefarbene Sonne, die hinter dem Horizont versinkt und ihren Platz einem Himmel räumt, der zunehmend in leuchtende Rosa- und Lavendeltöne getaucht wird, unvorstellbar prächtiger als noch vor ein paar Sekunden. Es schreit alles danach, fotografiert zu werden.
Olivia liebt das Gefühl ihrer Nikon in ihren Händen. Sie gibt zu, dass die kleinen Taschenkameras, die kaum größer als ein Satz Spielkarten sind, unterwegs praktischer wären, und in technischer Hinsicht können sie fast alles, was sie von einer Kamera will, aber sie fühlen sich an wie billige Spielzeuge. Sie zieht ihre klobige Nikon vor, das Klicken des Knopfes unter ihrem Zeigefinger, wenn sie abdrückt, den Wählvorgang der manuellen Einstellung, ihr Gesamtgewicht.
Es ruft ihr in Erinnerung, wie sie früher das Gefühl jedes ihrer neuen Bücher liebte, druckfrisch, die Krönung jahrelangen Schreibens durch den Autor und monatelanger redaktioneller Arbeit durch sie, der glatte, glänzende neue Umschlag, vielleicht mit Prägedruck, und das befriedigende Gewicht in ihren Händen. Sie weiß die Bequemlichkeit dieser dünnen, eleganten E-Reader zu schätzen, aber sie vermitteln ihr nicht die dreidimensionale sensorische Erfahrung, die mit einem echten Buch einhergeht.
Sie geht am Rand des Wassers entlang, bleibt hin und wieder stehen, um eine Weitwinkelaufnahme des Horizonts zu machen, eine Nahaufnahme einer Muschel, ein Foto eines Strandläufers oder der Silhouette einer Frau, die in der Ferne mit ihrem Hund spazieren geht. Anders als in den vergangenen Monaten, als sie hier in völliger und fast garantierter Einsamkeit spazieren gehen konnte, solange sie wollte, sind jetzt immer andere Leute am Strand. Die Insel erwacht zum Leben, und während Olivia geht, wird ihr bewusst, wie wenig im Einklang mit der Welt um sich herum sie ist. Das alles beherrschende Grau, das sie umgibt, hat sich nicht gelichtet; in ihrem Herzen ist es noch immer Winter. Sie spürt, dass sie ihr
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