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Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Titel: Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbot
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das Geschehen gar nicht oder nur beiläufig zu interessieren schien; der auf alle Fragen höflich, bescheiden und mit gewundenen Formulierungen antwortete und während der übrigen Zeit sich fleißig Notizen machte. Um auch alles mitschreiben zu können, hatte er in der Untersuchungshaft eigens Stenografie gelernt. Reichenstein hatte sich in die Atmosphäre eines Gerichtssaales und das Procedere einer Gerichtsverhandlung schnell eingelebt. Sofort nach der Eröffnung begann er zu schreiben – nahezu pausenlos, mit schräg geneigtem Kopf und fest zusammengepressten Lippen, als gingen ihn die belastenden Aussagen nichts an.
    Das private Aktenmaterial Reichensteins hatte unterdessen beachtliche Ausmaße erreicht. Er hatte Mühe, auf der Anklagebank alle Papiere, Notizblätter, Schnellhefter und Bücher in der rechten Ordnung zu halten. Immer wieder beugte er sich zu seinem Verteidiger hinunter und übergab Notizen. In den Verhandlungspausen führte er mit Dr. König durchweg intensive Gespräche, und wenn Zeugen vernommen wurden, piekte er seinen Verteidiger mit einem langen gelben Bleistift in den Rücken – dann war ihm etwas Wichtiges ein- oder aufgefallen, das postwendend flüsternd mitgeteilt werden musste. Doch sonst schwieg der Angeklagte zumeist, hockte unbewegt und mit starrer Miene in der Anklagebank. Der Prozess fand sozusagen ohne ihn statt.
    Kaum jemand unter den Zuschauern wollte eine Prognose wagen. Dafür hatte der Hauptbelastungszeuge seinen Part bisher zu miserabel erledigt, dafür hatte der Hauptangeklagte zu spontan und zu überzeugend agiert – trotz aller Indizien. Und über die »Liebespaar-Morde« war überhaupt noch nicht verhandelt worden.

29
    6. November 1959, dritter Verhandlungstag.
    Wieder war unentwegt von Morden die Rede, die gar nicht passiert waren, und Fritz Büning präsentierte einen galanten Gentleman-Ganoven und überaus versierten Verbrechens-Verhinderer – sich selbst. Der 28-Jährige spielte weiterhin die selbst gewählte Rolle eines Rammkeils, der eine Bresche in »die unerschütterliche Festung Reichenstein« zu schlagen hatte. So sollte »der Dämon« es auch auf eine einsam gelegene, komfortable Villa am Stadtrand Düsseldorfs abgesehen haben. Mit einem selbst hergestellten Gift sollten erst das Dienstmädchen, dann die Eigentümerin und schließlich ihr Ehemann getötet werden – nicht nur, um lästige Zeugen zu liquidieren, sondern weil Reichenstein insbesondere die Frau »haßte«.
    »Reichenstein zwang mich, als Erster auf einen Balkon zu klettern und einzusteigen«, berichtete Büning. »Aber ich bin zurückgekommen, weil ich Angst hatte und habe gesagt, das Fenster wäre nicht zu öffnen gewesen. Er hat das geglaubt. Dann sind wir wieder abgezogen.«
    Dr. Näke fragte eindringlich: »Sie sind der Hauptbelastungszeuge! Was Sie da stotternd herausbringen, klingt nicht sonderlich überzeugend. Stimmt das denn so?«
    »Jawohl.«
    »Haben Sie das, was Sie hier schildern, alles wirklich erlebt?«
    Büning konterte ungewohnt schlagfertig: »Alles ist wahr – sonst müsste ich ja Hellseher sein!«
    Gelächter im Zuschauerraum.
    Und dann fügte der Angeklagte mit lauter werdender Stimme hinzu: »Wenn hier alle so viel erzählen würden wie ich, dann ergäbe sich ein ganz anderes Bild!«
    Der Vorsitzende nickte. »Herr Büning, warum haben Sie bei all diesen Straftaten mitgemacht?«, wollte Dr. Näke wenig später wissen. »Brauchten Sie nicht auch Geld?«
    Darauf erzählte der Angeklagte, dass er gemeinsam mit seiner Frau für ein Häuschen gespart und damals bereits über 9000 Mark verfügt habe. Reichenstein habe ihn immer wieder vor die Wahl gestellt: »Entweder du gibst mir Geld – oder du machst mit!« Dann habe er mitgemacht. »Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte er den Vorsitzenden.
    Dr. Näke antwortete nicht. Stattdessen meldete sich erstmals der Verteidiger des Mitangeklagten zu Wort. »Warum haben Sie sich denn nicht dagegen gewehrt? Sie hatten doch auch eine Pistole! Sie hätten ihn doch in Schach halten können!«
    Doch Büning ließ sich nicht aus der Reserve locken: »Reichenstein schoss wie ein Künstler, ich konnte nichts machen.«
    Schließlich kam der Vorsitzende auf eine andere Ungereimtheit zu sprechen: »Als Reichenstein in Haft war, da haben Sie seine Familie finanziell unterstützt. Warum haben Sie das getan?«
    Die Antwort erzeugte gehörige Unruhe im Saal. »Wenn ich Reichenstein einen Gefallen hätte tun wollen«, ereiferte Büning sich

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