Der Liebesschwur
ich das vielleicht sagen.«
Er sah erwartungsvoll auf. Vane und Patience warfen einander einen Blick zu, dann sahen sie beide wieder Gerrard an. »Die Skizze, an der Sie gearbeitet haben, ist von der Staffelei abgerissen worden.«
»Was?«
Gerrards ungläubiger Ausruf wurde von Timms wiederholt. Gerrard schüttelte noch einmal vorsichtig den Kopf. »Das ist doch lächerlich. Meine Skizzen sind nicht wertvoll – warum sollte ein Dieb meine Skizze stehlen? Sie war ja noch nicht einmal fertig.«
Vane und Patience warfen einander noch einen Blick zu, dann sahen beide wieder Gerrard an. »Es ist gut möglich, dass man Sie deshalb bewusstlos geschlagen hat – damit Sie die Skizze nicht beenden konnten.«
»Aber warum?« Diese Frage kam von Minnie.
Vane wandte sich zu ihr um. »Wenn wir das wüssten, dann wären wir ein großes Stück weiter.«
Später an diesem Abend hielten sie in schweigender Übereinstimmung eine Konferenz in Minnies Zimmer ab. Minnie und Timms, Patience und Vane versammelten sich vor Minnies Kamin. Patience hatte sich auf den Hocker neben Minnies Sessel gesetzt und eine von Minnies zierlichen Händen in ihre Hand genommen. Jetzt sah sie in die Gesichter der anderen, die von dem flackernden Feuer erhellt wurden.
Minnie war besorgt, doch unter ihrer Zerbrechlichkeit verbargen sich ein störrischer Zug und ihre Entschlossenheit, die Wahrheit herauszufinden. Timms schien den Missetäter in ihrer Mitte als persönliche Beleidigung zu empfinden. Sie war beharrlich entschlossen, den Täter zu entlarven.
Und was Vane betraf … Patience' Blick glitt über sein Gesicht, das in dem sich bewegenden goldenen Licht noch ernster aussah als sonst. Er sah aus wie … wie ein eingeschworener Krieger. Dieser Gedanke kam ihr in den Sinn, doch sie lächelte nicht. Der Vergleich passte viel zu gut auf ihn – er sah aus, als sei er entschlossen, denjenigen auszulöschen, zu vernichten, der es gewagt hatte, Minnies Frieden zu stören.
Und auch den von Patience.
Sie wusste, dass es die Wahrheit war – sie hatte es an der Berührung seiner Hände auf ihren Schultern gefühlt, als er ihr mit Gerrard geholfen hatte, und sie hatte es in seinem Blick gesehen, als er die Sorge und die Verzweiflung in ihrem Blick bemerkt hatte.
Das Gefühl, von ihm beschützt zu werden, war ein süßer Trost. Auch wenn sie sich einzureden versuchte, dass es nur für den Augenblick war – für die Gegenwart und nicht für die Zukunft – , konnte sie nicht aufhören, es zu genießen.
»Wie geht es Gerrard?«, fragte Timms und setzte sich in den zweiten Sessel, dann strich sie ihre Röcke glatt.
»Er schläft«, antwortete Patience. Er war immer unruhiger geworden, je weiter der Abend fortschritt, bis sie darauf bestanden hatte, ihn mit Laudanum zu betäuben. »Er liegt in seinem Bett, und Ada passt auf ihn auf.«
Minnie hob den Blick und sah sie an. »Geht es ihm wirklich gut?«
Vane, der am Kaminsims lehnte, bewegte sich ein wenig. »Es hat keine Anzeichen für eine Gehirnerschütterung gegeben. Ich nehme an, dass er – außer Kopfschmerzen – morgen wieder ganz der Alte sein wird.«
Timms schnaufte. »Aber wer hat ihn niedergeschlagen? Und warum?«
»Sind wir denn ganz sicher, dass er wirklich niedergeschlagen wurde?« Minnie sah Vane an.
Er nickte grimmig. »Seine Erinnerungen sind deutlich und klar, nicht benommen. Wenn er auf dem Hocker gesessen hat, wie er es gesagt hat, dann kann ihn auf keinen Fall ein herunterfallender Stein getroffen haben, nicht in diesem Winkel und mit dieser Stärke.«
»Und das bringt uns zurück zu meinen Fragen«, sagte Timms. »Wer? Und warum?«
»Was das Wer betrifft: Es muss entweder das Gespenst sein oder der Dieb.« Patience warf Vane einen Blick zu. »Angenommen, die beiden sind nicht ein und dieselbe Person.«
Vane runzelte die Stirn. »Es scheint wenig Grund dafür zu geben anzunehmen, dass es dieselbe Person ist. Das Gespenst ist nicht mehr aufgetaucht, seit ich es verfolgt habe, während der Dieb ohne Pause weitergemacht hat. Es hat auch keinerlei Hinweise gegeben, dass der Dieb an den Ruinen interessiert ist, während diese immer wieder die Zuflucht des Gespenstes gewesen sind.« Er erwähnte nicht, dass er davon überzeugt war, dass es sich bei dem Dieb um eine Frau handelte, die demzufolge weder die Kraft noch die innerliche Härte besaß, Gerrard niederzuschlagen. »Wir können nicht ausschließen, dass der Dieb der Missetäter von heute ist, aber mir scheint es eher
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