Der Liebesschwur
fürchtet, erwischt zu werden, dazu kann ich nichts sagen. Aber« – Vane schob das Kinn entschlossen vor – »ich bin ganz sicher, dass er die Ruinen für sich haben will. Also wird er der Verlockung nicht widerstehen können.« Er sah Minnie in die Augen. »Wer auch immer das Gespenst ist, er ist davon besessen – was auch immer es ist, was er dort finden will, und er wird nicht aufgeben.«
Und so wurde es beschlossen. Der gesamte Haushalt würde nach London umziehen, sobald Gerrard in der Lage war zu reisen. Als Vane noch einen letzten Gang durch das ruhige Haus machte, in dem alle schliefen, ging er in Gedanken eine Liste der Dinge durch, die er gleich morgen in Bewegung setzen würde. Sein letzter Kontrollgang brachte ihn in die dritte Etage des Westflügels.
Die Tür zu Gerrards Zimmer war offen, ein sanftes Licht fiel in den Flur.
Leise kam Vane näher. Er blieb im Schatten der Tür stehen und betrachtete Patience, die auf einem Stuhl neben dem Bett saß, die Hände im Schoß verschränkt, und Gerrard betrachtete, der schlief. Die alte Ada döste in einem Sessel am Kamin.
Lange stand Vane einfach nur da und sah zu, nahm das Bild in sich auf: Patience' sanft gerundeter Körper, ihr glänzendes Haar, ihr femininer Ausdruck. Die schlichte Hingabe ihrer Haltung, in ihrem Gesicht, rührte ihn an – er wünschte sich, dass so seine Kinder betreut und beschützt würden. Es war nicht der Schutz, den er ihnen bieten konnte, es war der Schutz und die Unterstützung auf eine genauso wichtige, aber andere Art. Er würde die eine Art bieten, sie die andere – zwei Seiten derselben Münze.
Er fühlte, wie ihn ein eigenartiges Gefühl ergriff, von dem er sich längst befreit geglaubt hatte. Die Worte, mit denen er das Gespenst beschrieben hatte, kamen ihm wieder in den Sinn. Die Beschreibung traf auch auf ihn zu. Er war besessen und würde nicht aufgeben.
Patience fühlte seine Anwesenheit. Sie blickte auf und lächelte ein wenig, dann sah sie wieder Gerrard an. Vane legte die Hände auf ihre Schultern, dann zog er sie sanft, aber bestimmt zu sich hoch. Sie runzelte die Stirn, aber erlaubte es, dass er sie in seine Arme nahm.
Er senkte den Kopf und sprach leise mit ihr. »Komm weg von hier. Er ist jetzt nicht mehr in Gefahr.«
Sie verzog das Gesicht. »Aber …«
»Er wird nicht glücklich sein, wenn er aufwacht und dich schlafend in dem Stuhl neben seinem Bett sieht, wie du über ihn wachst, als sei er gerade sechs Jahre alt.«
Der Blick, den Patience ihm schenkte, sagte ihm sehr deutlich, dass sie genau wusste, worauf er hinauswollte. Vane begegnete diesem Blick mit einer arrogant hochgezogenen Augenbraue. Er schloss seine Arme noch fester um sie. »Niemand wird ihm hier etwas zuleide tun, und wenn er etwas braucht, ist Ada hier.« Er führte sie zur Tür. »Du kannst ihm morgen mehr helfen, wenn du heute Nacht etwas Schlaf bekommst.«
Patience warf einen Blick zurück über ihre Schulter. Gerrard schlief tief und fest. »Ich denke …«
»Genau. Ich werde dich nicht hier lassen, damit du ohne Grund die ganze Nacht hier sitzen bleibst.« Er zog sie über die Schwelle und schloss die Tür hinter ihnen.
Patience blinzelte, doch alles, was sie wahrnahm, war die Dunkelheit.
»Hier.«
Vane legte ihr einen Arm um die Taille und zog sie an seine Seite. Er ging mit ihr zur Treppe. Trotz der undurchdringlichen Dunkelheit fiel es Patience nicht schwer, sich in seiner Wärme zu entspannen, Trost in seiner Kraft zu finden.
Schweigend gingen sie durch das dunkle Haus in den Flügel gegenüber.
»Bist du auch sicher, dass es Gerrard gut gehen wird?« Sie stellte ihm diese Frage, als sie in den Flur einbogen, in dem ihr Zimmer lag.
»Vertrau mir.« Vane drückte die Lippen an ihre Schläfe. »Es wird ihm gut gehen.«
Es lag ein Unterton in seiner tiefen Stimme, deren Vibration sie in ihrem Körper fühlte, der sie noch mehr beruhigte als seine Worte. Der letzte Rest ihrer nervösen, vielleicht sogar irrationalen, schwesterlichen Sorge verließ sie.
In der Sicherheit der Dunkelheit ließ Patience es zu, dass sich ihre Lippen zu einem wissenden, sehr weiblichen Lächeln verzogen.
Sie waren vor ihrer Tür angekommen. Vane öffnete sie und schob sie in das Zimmer. Ein Gentleman hätte sie jetzt verlassen – doch er hatte schon immer gewusst, dass er kein Gentleman war. Er folgte ihr in das Zimmer und schloss die Tür hinter ihnen.
Sie brauchte Schlaf, und er würde erst Ruhe finden, wenn sie träumte.
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