Der Liebestempel
was
geschieht nun? Vermutlich müssen wir ins Büro des Sheriffs fahren, und dann
werden Sie mich einsperren?«
»Wir werden ins Büro des
Sheriffs fahren und die Formalitäten erledigen müssen«, sagte ich. »Sie werden
eine Aussage machen — das wiederholen, was Sie mir eben erzählt haben — , so
daß ein Stenograf alles mitschreiben kann, und Sie müssen die Angaben
unterschreiben. Ich bezweifle, daß wir Sie festnehmen müssen. Selbst ein noch
so einfältiger Rechtsanwalt könnte Sie in einem Fall wie diesem gegen Kaution
freibekommen. Außerdem besteht keine Eile. Sie werden sich anziehen und um ein
paar Dinge kümmern wollen. Wie steht es mit Samantha? Gibt es jemanden, bei dem
sie für eine Weile bleiben kann?«
»Da ist eine Mrs. Woodbank , die das Haus hier
für mich saubermacht und sich um Samantha kümmert, wenn ich abends ausgehe. Sie
wohnt nur anderthalb Kilometer von hier entfernt, und ich weiß, daß sie
Samantha gern zu sich nimmt. Sie wird auch gut für sie sorgen, bis die Dinge
alle geregelt sind.«
»Soll ich sie anrufen, während
Sie sich anziehen?«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr
dankbar. Ihre Nummer steht auf dem Notizblock neben dem Telefon im Flur.«
Sie stand langsam auf, wie eine
sehr alte Frau, und ging mit steifen Schritten auf die Tür zu. Kurz davor
stolperte sie und wäre beinahe hingefallen.
»Was ist?« Ich wollte eilig auf
sie zugehen, aber sie richtete sich schnell auf und wandte sich mir zu.
»Bitte?« Ihre Stimme war die
eines verängstigten Kindes. »Bitte, helfen Sie mir!«
»Natürlich, Mrs. Magnuson «, sagte ich freundlich. »Was kann ich tun?«
Ihre Augen wurden starr und
blicklos. »Ich brauche das Licht, das mich führt«, flüsterte sie. »Bitte, geben
Sie es mir. Ich muß ein Licht haben, das mich führt!« Dann gaben ihre Knie
plötzlich unter ihr nach, und sie stürzte seitwärts zu Boden.
ACHTES KAPITEL
S ie wird bald wieder in Ordnung
sein«, sagte Doktor Murphy zuversichtlich. »Nervöse Erschöpfung. Wenn Sie
wollen, kann ich Ihnen auch eine schicke Bezeichnung dafür geben.«
»Ich begnüge mich mit den
einfacheren Dingen des Lebens«, sagte ich. »Was geschieht jetzt mit ihr?«
»Sie braucht ein paar Tage lang
völlige Ruhe. Ich werde einen Ambulanzwagen kommen und sie ins
County-Krankenhaus bringen lassen. Die Schwestern dort geben sich bei meinen
Patienten Mühe, sonst werden sie nicht gezwickt.« Er lachte boshaft. »Unter
diesen gestärkten weißen Trachten verbirgt sich mehr Sex, als sich ein einfältiger Polizeilieutenant je träumen läßt.«
»Hamlet?« fragte ich
interessiert.
»Vielleicht könnte man es so
bezeichnen.« Er nickte. »Aber ich finde immer, es klingt würdiger, wenn man
County sagt.«
»Manchmal bin ich überzeugt,
daß Sie wirklich so blöde sind, wie Sie aussehen«, sagte ich. »Bleiben Sie
hier, bis die Ambulanz kommt? Ich habe noch einiges zu erledigen.«
»Okay. Ich nehme nicht an, daß
sich im Haus eine unschuldige Neunzehnjährige aufhält, die des Trostes
bedürftig ist — in würdiger Weise natürlich.«
»Ihre Annahme ist richtig«,
sagte ich. »Wie schafft es Ihre Frau bloß, über Ihre Gepflogenheiten auf dem laufenden zu bleiben?«
»Sie überprüft die Geburten im
County-Krankenhaus.« Er grinste melancholisch. »Wenn sie raffiniert wäre, würde
sie die Leichen weiblicher Jugendlicher in der Leichenhalle überprüfen, denn
wer unterschreibt die Totenscheine?«
»Warum ihr glücklich
verheirateten Burschen bloß immer eine solche Schau abziehen müßt?« sagte ich
aus ehrlicher Neugierde heraus.
»Es handelt sich ganz einfach
um die geheimen Träume des verheirateten Mannes«, sagte er leichthin. »Aber ich
würde meine Frau nicht gegen ihre Realisierung eintauschen. Bloß erzählen Sie
ihr das nicht, sonst gibt sie sich der Illusion hin, sie sei vollkommen.«
Ich verließ ihn vor dem
Schlafzimmer und ging die Treppe hinunter in den Wohnraum. Mrs. Woodbank saß auf der Couch und unterhielt sich mit
Samantha. Sie war eine freundlich aussehende Frau um Fünfzig herum und wirkte
ganz wie die beste Lösung eines Problems.
»Wie geht’s Mommy ?«
fragte Samantha schnell.
»Der Doktor sagt, sie sei bald
wieder gesund«, sagte ich. »Aber sie braucht ein paar Tage Ruhe, deshalb
schickt er sie ins County-Krankenhaus. Du hast sicher nichts dagegen, ein paar
Tage bei Mrs. Woodbank zu
bleiben?«
»Gern«, sagte sie schnell.
»Bleiben Sie eine Weile hier, Lieutenant?«
»Leider nicht, ich habe
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