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Der Lilienpakt

Der Lilienpakt

Titel: Der Lilienpakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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wieder.«
    Tränen verschleierten meine Sicht, als ich mich vom Fenster zurückzog. Doch ich erlangte die Fassung schnell wieder. Bis zur Abreise nach Paris hatte ich einiges zu erledigen. Jules hatte geholfen, ein paar Dinge ins Turmzimmer zu schaffen: Kleider von Antoine, ein Stück Seife, eine Bürste und Hemden. Von meinem Lieblingsbruder besaß ich eine Haarlocke, die in einem Medaillon ruhte. Nur dieses Schmuckstück würde ich mitnehmen.
    Ich ging zum Kleiderstapel, zog ein Hemd hervor und vergrub mein Gesicht darin. Der Stoff war vom Geruch meines Bruders durchtränkt. Da er regelmäßig im See gebadet hatte, dufteten seine Kleider stets frisch nach Lavendelseife und Zedernholz. Und nach ihm. Tränen schossen mir in die Augen. Wie sehr ich ihn doch vermisste!
    Als ich das Hemd wieder zurückgelegt hatte, wandte ich mich dem Spiegel und der Schere zu, die ich ebenfalls nach oben mitgenommen hatte. Für meine Verwandlung in einen Jungen musste ich ein Opfer bringen.
    Ich fühlte kein Bedauern, als ich zur Schere griff. Nur Hass auf die Mörder. Ich begann bei den Schläfenlocken und arbeitete mich langsam zum Hinterkopf vor. Strähne um Strähne fiel zu Boden.
    Als ich das Werk zur Hälfte vollendet hatte, ging hinter mir die Tür auf. Ich hielt inne und sah mich um. Es war Jules.
    »Die Särge werden jetzt auf den Friedhof gebracht«, berichtete er beklommen. »Mein Vater meinte, dass ich Euch etwas Gesellschaft leisten sollte.«
    »Das ist sehr freundlich.« Ich schlug beklommen die Augen nieder. Eigentlich hätte ich meiner Familie das letzte Geleit geben müssen. Jetzt konnte ich nicht einmal ihr Grab besuchen.
    Jules räusperte sich. »Soll ich Euch vielleicht beim Schneiden helfen?«
    Ich blickte auf und streckte ihm die Schere entgegen. »Gib aber acht, dass du mich nicht verstümmelst.«
    »Keine Sorge, Comtesse!« Jules machte eine spöttische Verbeugung, dann nahm er mir die Schere aus der Hand.
    Als Jules an einer Haarlocke zerrte, kniff ich die Augen zusammen.
    »Wie war das noch einmal mit dem Verstümmeln?«
    »Verzeiht, ich wollte Euch keine Schmerzen bereiten.«
    Die Schere schnippte und die Locke fiel. Die nächste Strähne fasste er aber sanfter an.
    Nach einer Weile wich die Anspannung von mir. Ich beobachtete Jules im Spiegel. So konzentriert sah er wohl auch aus, wenn er eine Waffe schmiedete.
    »Wie ist die Arbeit in der Schmiede?«, fragte ich schließlich.
    »Wie soll sie schon sein?«, gab Jules ruhig zurück. »Die meiste Zeit ist es heiß und stickig. Außerdem sieht man dem glühenden Eisen zunächst nicht an, was es einmal werden soll. Dafür entschädigt einen der Anblick der fertigen Waffe, wenn sie gut gelungen ist.«
    »Kannst du fechten?«
    Jules hielt überrascht inne. »Ein wenig. Warum fragt Ihr?«
    »Ich könnte dir ein paar Hiebe beibringen, wenn du magst.«
    Dieses Angebot war nicht uneigennützig. Mit Jules könnte ich üben. Die Fechtlehrer in Paris würden sich gewiss nicht die Finger nach dem Lehrling eines Schmiedes lecken. Außerdem hatte ich kein Geld.
    »Ihr könnt fechten?«, fragte Jules verwundert.
    »Ja, ich hatte einen Fechtmeister, der es mir beigebracht hat. Hast du vorhin den Mann im schwarzen Wams gesehen? Den mit Spitzbart und Zopf?«
    »Der vor den Särgen gekniet und dann mit seinem Degen salutiert hat?«
    »Das war Maître Nancy. Einer der besten Fechtlehrer, wenn du mich fragst.«
    »Vielleicht solltet Ihr seine Dienste weiter in Anspruch nehmen«, schlug Jules vor, während er weitere Strähnen abschnitt.
    »Das wäre zu gefährlich. Wenn die Schwarze Lilie dahinterkommt, dass ich noch lebe, wenden sie sich gewiss an Nancy. Er mag ein guter Fechter sein, aber gegen eine Übermacht an Männern hat selbst er keine Chance.«
    Ich verstummte und blickte durch den Spiegel in Jules’ Gesicht. Er presste gedankenvoll die Lippen zusammen, während er weiterarbeitete.
    »Also, was sagst du zu meinem Angebot?«
    Jules blickte mich an und lächelte kurz.
    »Ich nehme es an.«
    Einige Minuten später konnte ich einem neuen Menschen ins Gesicht blicken. Aus Christine war Christian geworden. Zumindest, was die Haare anging.
    »Meinst du, man würde mich für einen Jungen halten?«, fragte ich, während ich mich Jules zuwandte.
    Der junge Waffenschmied kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schräg. »Wenn man nicht genau hinsieht, schon.«
    Ich erhob mich und warf die schäbigste Jacke meines Bruders über. »Und jetzt?«
    »Schon besser. Allerdings solltet

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