Der Lilienpakt
mich. Ich schwang die Beine aus dem Bett und krümmte mich zusammen in der Hoffnung, das Herzrasen würde vorübergehen.
Als es das nicht tat, zog ich den Degen unter dem Bett hervor.
Der Griff schmiegte sich kühl in meine Hand. Mondlicht brachte den Rubin im Knauf zum Leuchten. Ich schmiegte meine Wange daran, und als hätte er magische Kräfte, verlangsamte sich mein Herzschlag wieder.
Plötzlich erkannte ich, dass dieser Traum eine Mahnung war. Ich durfte mein Ziel nicht aus den Augen verlieren und musste etwas tun. Irgendetwas.
Als das Herzrasen aufgehört hatte, erhob ich mich vom Bett, schlüpfte in meine Sachen und griff nach dem Degen. Fest presste ich ihn an meine Brust, während ich die Kammer verließ.
Im gesamten Haus war es still. Nur die Bohlen der Stiege knarrten leise unter meinen Füßen. Madame und Monsieur Garos schlummerten in ihrer Kammer, Jules wälzte sich auf seinem Lager herum. Die beiden Gehilfen hatten Quartier im Holzschuppen bezogen.
Vorsichtig schlich ich an den Türen vorbei, durchquerte die Küche und trat nach draußen. Ich ließ meinen Blick über den Hof und zur Hütte von Monsieur Ismael schweifen. Auch dort war alles still.
Die Kiesel knirschten leise unter meinen Schuhen, als ich mich der Werkstatt näherte. Ich schlich am Kohlebecken vorbei und wich einem Korb voller fertiger Rapiere aus, die zur Abholung bereitstanden.
Auf meiner Werkbank breitete ich ein Tuch aus und legte den Degen darauf. Dann entzündete ich eine Kerze. Da die Fensterläden geschlossen waren, würde mich so schnell niemand bemerken.
Vorsichtig machte ich mich ans Werk. Als ich den Edelstein abnahm, fiel mir ein Zettel entgegen. Er war an den Rändern vergilbt und die Schrift war schon ziemlich verblasst. Um besser lesen zu können, hielt ich den Zettel näher an die Kerzenflamme. Die kantige Handschrift gehörte meinem Vater:
Die Lilie des vierten März, geschützt durch den Pakt.
Ich drehte den Zettel um und erwartete, dort außer ein paar Gilbflecken nichts zu sehen. Doch dann entdeckte ich Buchstaben an der Seite, die der Kerze am nächsten war. Auf den ersten Blick schienen sie keinen Sinn zu ergeben. Doch als ich den Zettel noch näher an die Flamme hielt, erschienen weitere Buchstaben. Mein Herz begann heftig zu pochen.
… Musketieren
… bei Musketieren
… Hilfe bei Musketieren
›Suche Hilfe bei Musketieren‹ konnte ich schließlich entziffern.
Ich lehnte mich zurück. Der Schriftzug verblasste wieder. Doch die Worte brannten vor meinen Augen.
Was bedeuteten sie?
Hatte Papa diesen Degen gekauft, ohne zu wissen, dass er vorher jemand anderem gehört hatte?
Nein, das konnte nicht sein. Die Schrift war eindeutig die meines Vaters. Vielleicht handelte es sich um eine verschlüsselte Botschaft?
Wieder stieg vor meinem geistigen Auge die Erinnerung daran auf, wie Papa mir die Waffe gereicht hatte. Die Auswahl hatte zufällig gewirkt, doch was, wenn er mir ganz bewusst diese Waffe gegeben hatte? War dieser Zettel eine Botschaft für mich?
Meine Kehle wurde schlagartig trocken.
Warum hatte er mir nicht gesagt, dass ich zu den Musketieren gehen sollte und stattdessen verlangt, dass ich mich bei diesem Dupree melde? In Calais befanden sich doch keine Musketiere …
Außerdem hätte ich diesen Zettel nie gefunden, wenn ich nicht zufällig den Knauf abgelöst hätte. Oder war diese Nachricht für Monsieur Dupree bestimmt? War er vielleicht ebenfalls ein alter Kamerad?
Suche Hilfe bei Musketieren …
Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Hatte jemand das Licht in der Werkstatt bemerkt? Was, wenn François oder Jacques hereinkamen?
Mit zitternden Fingern befestigte ich rasch den neuen Knauf. Er passte nicht so gut, wie er sollte, doch nachdem ich ihn mit etwas Draht umwickelt hatte, saß er fest genug, um auch ein Gefecht auszuhalten. Den Griff umwickelte ich noch einmal mit Leder. Die Waffe sah jetzt etwas merkwürdig aus, doch niemand würde sie als einen Degen meines Vaters erkennen.
»Ich werde ihn wieder reparieren, Papa«, wisperte ich, als ich den Rubin in der Tasche verschwinden ließ.
Dann blies ich die Kerze aus und verließ die Werkstatt.
Ein Schatten, der über den Hof huschte, zwang mich zurückzuweichen, doch dann sah ich, dass es nur François war, der sich hinter dem Schuppen erleichtern wollte. Als ein Plätschern ertönte, eilte ich über den Hof und verschwand im Wohnhaus.
15
Der Mann hatte den Mantel fest um seinen Körper geschlungen. Eigentlich
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