Der Lilienpakt
meine Schulter.
Wir hatten die Übereinkunft getroffen, den beiden zu verschweigen, dass ich ein Mädchen war und welche Geschichte mich hierhergeführt hatte.
»Sieht aber noch ziemlich schwächlich aus«, stellte Jacques fest, als er mir die Hand reichte. Meine Finger, der Handrücken und das Handgelenk verschwanden vollständig in seiner mächtigen Pranke. Aus Angst, er würde mir die Hand zerdrücken, hielt ich so gut wie möglich gegen. Erstaunt gingen Jacques ‘ Augenbrauen nach oben.
»He, du hast ja Kraft in der Hand!«
»Die brauche ich auch, um …« Beinahe wäre es aus mir herausgeplatzt, dass ich die Kraft fürs Fechten brauchte.
»Um zu schmieden«, setzte ich rasch hinzu.
»Klar, um zu schmieden!« Der Gehilfe versetzte mir einen Schlag auf den Rücken, der mir den Atem aus den Lungen presste.
»Nun fass ihn doch nicht so hart an«, sagte François, als auch er mich begrüßte. »Aus ihm wird noch ein richtiger Kerl werden, wart’s ab!« Er zwinkerte mir zu, dann nahm er seine Tasche von der Schulter, in der es geheimnisvoll klimperte.
Sogleich machten sich die beiden Gesellen mit dem Meister an die Arbeit. Jules wurde dazu abgestellt, die Schmiedestücke zu halten und dafür zu sorgen, dass das Feuer nicht ausging. Der Anblick der Männer war so faszinierend, dass ich gern eine Weile zugeschaut hätte, doch da scheuchte mich Monsieur Garos wieder ins Hinterzimmer, sodass mir nur blieb, den gleichmäßigen Hammerschlägen zu lauschen.
Während Kardinal Mazarin dieser Tage überraschenderweise in den Kronrat berufen wurde und der Général Condé bei Rocroi einen wichtigen Sieg über die spanischen Truppen errang, wuchs in der Schmiede der Stapel an fertigen Waffen.
Schon lange vor Anbruch der Dämmerung verließen wir unsere Nachtlager. Zusammen mit Jules entzündete ich das Schmiedefeuer, während der Meister und seine Gesellen die Arbeit vom Vortag begutachteten und die Rohlinge bereitlegten.
Jacques und François waren recht schweigsam, was aber ihrer Arbeit zugutekam. Nie schalt Monsieur Garos sie, nie benahmen sie sich respektlos. Jules und mir gegenüber waren sie immer zu Scherzen aufgelegt.
Nach der Arbeit verließen Jules und ich beinahe jeden Abend die Stadt, um zu fechten oder unter der Ulme zu sitzen. Hin und wieder überquerten wir dabei den Marktplatz, wo Jules ein wenig Wegzehrung besorgte.
»Du weißt, dass man Dieben die Hand abhackt«, raunte ich ihm zu, als er einmal mit einigen Äpfeln und zwei Pasteten ankam. Die konnte er unmöglich gekauft haben, denn sein Vater überließ ihm immer nur ein paar Sous.
»Sehe ich etwa aus wie ein Dieb?«, fragte er beleidigt und reichte mir dann einen Apfel und eine Pastete. »Einige Händler kennen mich und stecken mir die Sachen zu, weil sie glauben, Papa würde ihnen Preisnachlass gewähren, wenn sie einen Dolch bei ihm bestellen.«
»Und tut er das?«
»Sicher, was meinst du, warum die Leute mir was geben?«
Gestärkt begannen wir Angriffe und Finten zu üben. Die Bewegung und die Disziplin taten mir gut. Danach konnte ich meist zufrieden und ruhig einschlafen.
Doch eines Nachts hatte ich einen furchtbaren Traum. Ich befand mich wieder auf dem Schloss, wo ein Ball stattfand. Meine Familie, ein paar Freunde und selbst die Dienerschaft hatten herrliche Kleider an und tanzten zu den Klängen eines Fiedelspielers.
Dieser trug einen schwarzen Mantel, was ich zunächst nicht verwunderlich fand, doch dann erkannte ich, dass die Hand, die den Bogen führte, nur aus Knochen bestand. Als er den Kopf wandte und mich ansah, erkannte ich, dass seine Augenhöhlen leer waren und sein Mund lippenlos.
Erschrocken prallte ich zurück und bemerkte dabei, dass mein Kleid ganz schäbig und zerfetzt war. Zwischen all den prächtigen Gestalten sah ich aus wie eine Bettlerin. Doch das war noch nicht das Schlimmste.
Als der Fiedelspieler verstummte, hielten die Tanzenden inne und sahen mich an. Ich erkannte, dass ihre Gesichter grauenvoll entstellt waren. Blutflecke erschienen plötzlich auf ihren prachtvollen Roben, und nacheinander sanken sie zu Boden.
Offenbar hatte sie nur das Spiel des Fiedlers am Leben erhalten. Von Grauen gepackt wandte ich mich um und wollte vor diesem Totentanz fliehen, doch irgendeine Macht hielt mich fest – es gab kein Entrinnen.
Schweißüberströmt fuhr ich auf und blickte mich um. Der Mond schien hell durch mein Fenster, und ein leises Knacken ging durch die Dachbalken. Mein Herz raste und Übelkeit überfiel
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