Der Lilienpakt
sich zurück. »Als ich so alt war wie du, und glaub mir, das ist eine Ewigkeit her, schlenderte ich eines schönen Morgens durch Paris. Es war ein wunderbarer Morgen, vielleicht der schönste, den ich jemals erlebt habe. Just an diesem Morgen begab es sich, dass der König, der beschlossen hatte, Krieg gegen Spanien zu führen, auf dem Weg zu einem guten Freund war. Ich selbst stiefelte durch die Rue de la Ferronnerie, als ich die Kutsche herannahen sah. Es war ohne Zweifel die königliche Karosse, und so drückte ich mich, da die Straße eng war, an die Wand und wartete, bis sie vorüber war. Oh, sie kam sehr dicht an mir vorbei, so dicht, dass ich das Parfüm riechen konnte, das die Edelleute auf ihren Kleidern trugen. Plötzlich schob sich ein Eselskarren vor die Karosse des Königs. Der Kutscher war gezwungen, seine Pferde anzuhalten. Um nachzusehen, was los war, stiegen einige Männer aus der Kutsche. Niemand glaubte, dass es in dieser engen, verwinkelten Gasse eine Gefahr geben würde. Doch plötzlich schoss ein Mann aus dem Schatten, nicht weit von mit entfernt. Er war kaltblütig genug gewesen, mich zu ignorieren. Ich sah ein Messer aufblitzen, dann schrie der König auch schon auf. Die Edelleute packten den Mörder und gaben den Befehl, weiterzufahren. Die Kutsche rollte davon und wenig später war der Vater unseres Königs tot.«
Ich saß da wie gelähmt. Hatte dieser Mann wirklich das Attentat auf Henri IV. mit angesehen?
Mein Vater hatte uns während der Geschichtslektionen davon erzählt. Die Hinrichtung Ravaillacs soll ein großes Spektakel gewesen sein. Man hatte ihn gevierteilt, wie es bei Königsmord Brauch war. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich das Geschehen auf der Place de Grève vor Augen gehabt hatte.
»Ihr habt wirklich den Königsmörder gesehen?«
»Seinen Rücken und sein Messer. Und glaube mir, das hat mich vorsichtig gegenüber der Welt werden lassen.«
»Ich danke Euch für Eure Geschichte.« Erschaudernd nahm ich die leere Schüssel und verließ das Haus.
Am Abend begleitete ich Jules in die Stadt, um dort einen neuen Armschutz für seinen Vater abzuholen. Monsieur Garos vertraute dem Sattler offenbar so sehr, dass er auf eine Anprobe des Armschutzes verzichtete.
Der Laden befand sich nahe Saint-Augustin. Schon von Weitem konnte ich das Leder riechen. Im Laden selbst hatte der Sattler einige seiner besten Stücke ausgestellt. Ich entdeckte einen spanischen Sattel mit Silberbeschlag und einige Wehrgehänge, für die sich auch meine Brüder hätten begeistern können. In einer Ecke saß ein junger Mann und nähte mit einer großen gebogenen Ahle konzentriert an einem weiteren Sattel.
Der Sattler selbst war ein freundlicher Mann mit schwieligen Händen. Im Gegensatz zu anderen Händlern, die nicht müde wurden, ihre Waren zu preisen, verlor er nicht viele Worte. Er reichte Jules den Armschutz, dessen Qualität man schon von Weitem erkannte, und verlangte zehn Livres.
Nachdem Jules bezahlt hatte und wir aus dem Laden heraus waren, zog er mich zu einem kleinen Stand, der Pasteten und Süßigkeiten feilbot. Dichtes Gedränge herrschte dort. Eigentlich sollten Süßigkeiten ja eher Frauen und Kinder anziehen, aber die Zahl von gut gekleideten Kavalieren, Soldaten und anderen Herren war beachtlich. Verkaufte sie etwa Pastillen, die der Manneskraft wieder Aufschwung verleihen sollten?
»Das Geschäft gehört einer gewissen Madame Bonaville. Bei ihr werden selbst die furchtlosesten Männer zu Naschkatzen.«
Als ich die Frau sah, wusste ich, warum sich die Männer vor ihrem Stand drängten. Sie war sehr hübsch mit ihren rotblonden Korkenzieherlocken und dem graublauen Kleid, das ihre Kurven deutlich betonte. Auch Jules’ Augen leuchteten, während er sie dabei beobachtete, wie sie kandierte Früchte abwog.
»Ich hole uns was davon«, verkündete er und war weg, bevor ich ihm sagen konnte, dass ich keinen Appetit hatte.
Als er an der Reihe war, erkannte ich, dass das Obst auch bei ihm nur ein Vorwand war. In Wirklichkeit interessierte sich Jules eher für die Äpfel der Madame.
Kichernd wandte ich mich um. Männer waren offenbar alle gleich.
Hufschlag zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich erblickte eine kleine Gruppe Musketiere, welche die Straße hinaufritt. Ihre blauen Tuniken flatterten wie Fahnen hinter ihnen her.
Jetzt fiel mir wieder ein, was ich eigentlich wollte.
Ungeduldig trat ich von einem Bein aufs andere, während ich auf Jules wartete.
Mit einer
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