Der Lilienring
weiß, worum es geht.« Mit einem leisen Lachen fügte er hinzu: »Du bist nicht scheu und verschämt, und das finde ich wundervoll. Erkläre ihr auch den Sinn und Zweck von Schwämmchen und solchen Dingen!«
»Ja, Valerian.«
»Ich hingegen werde mit den anderen Damen des Hauses über verschiedene andere Dinge zu sprechen haben. Mir scheint, ich habe einiges versäumt in den vergangenen Wochen. Jetzt aber – Marie-Anna, willst du das wohl bleiben lassen?«
»Soll ich wirklich?«
»Nein... ach nein!«
Der Morgen war angebrochen, und Edwin, Valerians Kammerdiener, zog die Vorhänge vor dem Fenster zurück. Marie-Anna erwachte bei dem Geräusch und rutschte noch etwas tiefer in die Decken. Doch der knorrige Alte hatte sie schon gesehen und schaute diskret über das Bett hinweg auf einen fernen Punkt.
»Herr Kommerzialrat, es ist halb sieben. Wünschen Sie wie üblich Ihr Bad?«
»In einer Stunde, Edwin. Verschwinde!«
»Wie Sie befehlen, Herr Kommerzialrat.«
Die Tür klappte zu, und Marie-Anna befreite sich von den erstickenden Kissen.
»Das wird Tratsch geben!«
»Nein. Edwin ist diskret. Aber du hast dennoch Recht, mein Herz, wir werden uns der Welt stellen müssen.«
»Du musst nicht. Wenn dein Edwin mir behilflich ist, werde ich ungesehen über den Gang huschen.«
»Und nachts gelegentlich ungesehen in mein Zimmer schlüpfen? Liebst du den Reiz der Heimlichkeiten?«
»Wünschen Sie denn, dass ich gelegentlich in Ihr Zimmer schlüpfe, Herr Kommerzialrat?«
»Ich habe verschiedene Wünsche, Mademoiselle de Kerjean. Ich bin äußerst geneigt, sie mir zu erfüllen. Ich werde im Laufe des Tages einige Klärungen herbeiführen, und wenn das geschehen ist, möchte ich mich mit dir unterhalten.«
»Und wenn das geschehen ist?«
»Mit dir schlafen.«
»Oh.«
»War ich zu direkt?«
»Eine gewisse Rücksichtslosigkeit ist den Raabes eigen!«
»Wer hat das gesagt?«
»Faucon.«
»Mh, mag stimmen.«
»Was mich auf das Thema verschwundener Schmuckstücke und Rosemarie bringt...«
»Worüber wir uns gerne unterhalten können. Aber für mich liegen die Themen Marie-Anna und Graciella erst einmal näher.«
30. Kapitel
Glückliche Tage
»Er hat ihnen eine höllische Szene gemacht, Marie-Anna«, stellte Graciella zu Beginn ihrer Konversationsstunde fest. »Was hast du Papa gesagt?«
»Nichts. Wie versprochen.«
»Aber er hat mir vorgeschlagen... Oh heilige Mutter Gottes, war mir das peinlich, Marie-Anna! Er wusste es. Und er hat gemeint, ich soll mit dir darüber reden.«
»Ciella, dein Vater ist nicht ganz unwissend, was das Erwachsenwerden anbelangt. Wir unterhalten uns später darüber, und du stellst mir all die Fragen, die du hast.«
»Bist du Papas Geliebte?«
»Das gehört eigentlich nicht zu den Fragen, die ich beantworten will.«
»Du bist es. Deshalb werden Mama und Berlinde heute zu Mamas Eltern abreisen.«
»Werden sie das?«
»Ja, Papa hat eigenhändig Mamas Koffer gepackt und ihr befohlen, um sechs Uhr in die Kutsche zu steigen. Ich sagte doch, eine höllenmäßige Szene.«
»Du hast gelauscht!«
»Sagen wir so, es ließ sich nicht vermeiden, Mamas und Berlindes Geschrei zu hören.«
»Er hätte das nicht tun sollen.«
»Ich weiß nicht, Marie-Anna. Mama ist nie sehr freundlich zu ihm gewesen. Natürlich ist sie meine Mutter, und ich müsste sie lieben, aber sie hat sich um mich auch nie viel gekümmert. Du kümmerst dich mehr um mich. Und wohl ebenso um ihn, nicht wahr?«
Ursula Raabe und ihre getreue Trabantin verließen tief verschleiert und mit etlichen Gepäckstücken pünktlich um sechs Uhr das Haus, um nach Siegburg zu reisen, wo Madames Eltern lebten. Yannick und Guenevere aber blieben im Haus; Mathilda hatte sich bereit erklärt, sich um ihr leibliches Wohlergehen zu kümmern. Eine Tätigkeit, die sie sowieso oft genug übernehmen musste, wenn Berlinde ihre Zeit in Madames Räumlichkeiten verbrachte.
Zum Abendessen fand sich eine verkleinerte Runde im Esszimmer ein, und die Atmosphäre war während der Mahlzeit seltsam gespannt. Valerian Raabe sprach wenig und versuchte erst gar nicht, ein Konversationsthema vorzugeben. Professor Klein leerte wie üblich systematisch seine Teller, Rosemarie spielte gelegentlich verträumt mit dem Filigrankreuzchen an ihrem Hals, und Graciella ließ ihre Blicke neugierig zwischen Marie-Anna und ihrem Vater hin und her wandern, schwieg aber dazu. Marie-Anna selbst war ebenfalls in Gedanken versunken. Die unerwartete Entwicklung, die
Weitere Kostenlose Bücher