Der Lilith Code - Thriller
stockte, »eine Fügung.« Jan verstand nicht. »Wissen Sie, was ein Jecke ist?«
»Nein, klingt nach Karneval.«
»So nannten uns die Ostjuden, als wir deutschen Emigranten nach Palästina kamen. Es war ein Spott, weil wir unsere Jacken trotz der Hitze nicht auszogen. Und unsere Art und Weise stieß sie vor den Kopf. Die Pünktlichkeit, die Höflichkeit und all das Deutsche in uns. Ach, Osnabrück! Wie sehr mir das fehlt. Der Regen, die Sauberkeit. Ich sehe den Dom und die Krahnstraße vor mir. Die Altstadt …«
Jan wirkte beklommen. Wie den meisten Deutschen fiel ihm der Kontakt mit jüdischen Überlebenden schwer. Er fühlte keine Schuld, aber etwas wie Scham entstand immer.
»Ich war seit 1939 nicht mehr da. Einen Monat vor Kriegsausbruch hatten wir unsere Papiere und konnten ausreisen. Seitdem ist viel passiert.«
»Wie alt waren Sie?«, fragte Jan, darauf achtend, möglichst mitfühlend, aber nicht sentimental zu klingen.
»Fünfzehn Jahre. Ich durfte nicht auf das Gymnasium gehen, aber meine Mutter hatte mich unterrichtet. Sie war Lehrerin am Carolinum.«
Jan nickte freudig. »Das war mein Gymnasium.«
»Aber ich sehe die Stadt noch vor mir. Wie sehr ich den Regen vermisse.«
»Naja«, antwortete Jan, »Osnabrücker, so sagt der Spott, kennen nur zwei Jahreszeiten, die mit warmem und die mit kaltem Regen.«
Paul Bäumer lachte. Vorsichtig legte er die Hand auf Jans Arm. »Es ist gut, dass wir hier sitzen und reden können – aber verzeihen werde ich nie!«
Für Jan war dieser ständige Wechsel aus Herzlichkeit und krasser Ablehnung anstrengend. Er wurde aus diesem Land und seinen Einwohnern nicht schlau. Je länger er mit ihnen zu tun hatte, desto mehr Fragen wollte er stellen. So war es ihm auch in Syrien gegangen. Regina kam ihm wieder in den Sinn. Wo sie jetzt wohl sein mochte? Er sehnte sich nach ihr.
Lea kam um den Tisch herum, beugte sich zu den beiden hinunter und bat den Alten darum, Jan »entführen zu dürfen«.
Jan entschuldigte sich, und beide versuchten gleichzeitig aufzustehen, um sich zu verabschieden. Elijah folgte ihnen.
Lea führte Jan in das Hinterzimmer, schloss die schweren Zedernholztüren und wies auf einen Platz. Auf dem Tisch stand ein Laptop neben einem Beamer, der das Bild an die gegenüberliegende Wand warf. In der linken Hälfte des Bildes sprangen zwei Fenster auf, das obere zeigte einen leeren Schreibtisch, das untere einen ebenso leeren Konferenzraum. Ohne Umschweife begann Lea zu referieren.
»Kurz zur Situation. Normalerweise arbeiten wir nicht so intensiv und offen mit Zivilisten zusammen. Erst recht nicht mit deutschen Zivilisten. Aber die Situation erfordert neue Wege. Wir werden dich nicht vereidigen oder so. Du solltest aber wissen, dass wir mit Verrätern nicht so umgehen, wie es vielleicht das deutsche Recht vorsieht.«
Jan verstand die Drohung sofort. »Meisterspion Elijah hat mir in den letzten Tagen schon einen ersten Eindruck eures Rechtsverständnisses gegeben.«
Elijah lachte nur.
Lea fuhr fort. »Ich muss dir nicht erst nach dem Vorfall von heute Nachmittag sagen, dass wir alle sehr angespannt sind und unter massivem Druck stehen. Das Ausland erwartet eine angemessene Reaktion nach dem Anschlag auf den Tempelberg. Die Pressekonferenz wird uns in die Schuhe geschoben. Unsere englischen Freunde versuchen alles, um uns als Drahtzieher und sich selbst nur als unwissenden Gastgeber dastehen zu lassen. Das ist Unsinn, führt aber nur dazu, dass wir uns noch stärker isolieren. Derzeit haben wir Unruhen in Ostjerusalem, in den Küstenstädten Haifa, Netanya und Hadera. In Samaria zum Beispiel sind zwei Siedlerfamilien aus ihren Fahrzeugen gezerrt und in einem Straßengraben daneben gesteinigt worden. Weltweit wurden mehr als 125 Angriffe auf jüdische Einrichtungen wie Synagogen, Schulen oder Kindergärten registriert. Unsere Vertretungen berichten vor allem von erheblichen Übergriffen und Hass-Kundgebungen in Polen und Russland. Die UNO hat bereits ihre dritte Dringlichkeitssitzung hinter sich. Sie wird vermutlich die sofortige Räumung Ost-Jerusalems von uns fordern. Es ist unsicher, ob die USA auch diesmal ihr Veto einlegen werden.
Auch die üblichen Verdächtigen sind nicht untätig: Wir zählen seit heute Nachmittag 43 Angriffe mit Raketen von Gaza, und im Südlibanon vermerken wir erste große Aktivitäten der Hisbollah. Unsere Luftwaffe fliegt permanent Angriffe auf beide Regionen. Dennoch lassen die Angriffenicht nach. Die neue Arabische
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