Der Lilith Code - Thriller
Sie Eis hier?«, fragte er den kreidebleichen Wirt, der an der Theke stand. »Ich brauche viel davon. Schnell, wenn wir seine Körpertemperatur herabsetzen, erhöhen wir seine Chance rapide.«
Unter den erstaunten Blicken der Verwandten wurde kurz darauf der alte Mann, der den Holocaust überlebthatte, zwischen großen mit Eisbechern gefüllten Plastiktüten auf einer Trage liegend, von einem Rettungsteam in ein Krankenhaus gebracht.
Wenig später wusch Jan sich in der Küche das Erbrochene von seinem Hemd. Lea saß am Tisch und rauchte. Ihre Hände zitterten. Ihr Vater war auf dem Weg ins Krankenhaus von Tiberias, der größten Stadt hier am See.
»Ich erzähle dir die Geschichte. Setz dich – bitte. Es ist nicht leicht für mich.«
Jan trocknete sich die Hände ab, goss sich ein Glas Wein ein und schaute erwartungsvoll zu Lea.
»Avrim war fünfzehn Jahre, als er von Litauen nach Auschwitz mit seiner Familie deportiert wurde. Er geriet gleich bei der Ankunft in das Augenmerk Dr. Josef Mengeles. Ich muss dir nicht sagen, wer das war.«
Das musste sie nicht. Jeder halbwegs gebildete Deutsche kannte dieses Monster der Medizin, das an unzähligen Menschen meist tödlich verlaufende Experimente durchgeführt hatte.
»Mengele schnitt gleich am zweiten Tag ohne Narkose eine von Vaters Nieren heraus. Nur um zu sehen, ob er überleben würde. Irgendwann verlor er für Mengele die Bedeutung und sollte ins Gas geschickt werden. An diesem Tag bekam er dafür die Nummer 201. Aber er hatte Glück. In die Gaskammer passten nur 200 Menschen. Einen Tag später wurde das Lager evakuiert, weil die Russen schon wenige Kilometer östlich standen. Avrim überlebte. Seitdem weigert sich mein Vater strikt, von einem Arzt behandelt zu werden. Du bist der Erste, du rettest sein Leben und bist ausgerechnet ein Deutscher. Zuviel Ironie des Schicksals, oder?«
Jan zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur meine Pflicht getan. Das klingt jetzt auch wieder komisch, aber es ist so. Ich bin Arzt. Es gibt nicht nur immer Schwarz oder Weiß. Meist gibt es auch Grau, sehr viel Grau.«
Lea drückte ihre Zigarette aus und sah Jan traurig an. Er war nicht ansatzweise so, wie ihr Vater die Deutschen seitihrer Kindheit geschildert hatte. Aber niemals würde sie den Schrecken des Holocausts vergessen. Sie fühlte sich gefangen in der Vergangenheit ihres Vaters.
Die Tür zur Küche wurde aufgerissen. Elijah stand mit hochrotem Kopf im Türrahmen. »Wir haben den Schlüssel gefunden.«
Sie eilten in das Nachbarzimmer. Elijah wies sie wieder auf das Sofa, und dort saßen sie wie zwei Schüler, denn Elijah hatte ein Flipchart aufgebaut und schon angefangen, mit dicken Filzstiften darauf zu zeichnen.
»Also, die Buchstaben in Almuts Aufzeichnungen sind der Schlüssel. Das Schlüsselloch ist der Text auf dem Pergament. Die beiden müssen nur zusammengeführt werden. Die Acht ist, wenn man sie auf die Seite legt, eine Lemniskate.« Er war an die Papiertafel gegangen und zeigte auf die liegende Acht. Lea schaute verständnislos. »Für alle Nicht-Mathematiker im Raum: Eine Lemniskate ist eine bestimmte mathematische Kurve, genauer gesagt, eine algebraische Kurve. Ich verschone euch mit tieferen Fakten. Ordnen wir die Buchstabenreihen aus Almuts Aufzeichnungen auf diese Acht, folgen wir dem Rhythmus, den die Zeilen auf dem Fundstück vorgeben … ›Im Schwarz der Nacht‹ ist der Mittelpunkt, da wo sich die Kreise der Acht berühren, und ›die Flügel‹, das sind jeweils die linken und rechten Kreise, dann ordnen wir Wort für Wort auf dieser Bahn an. So ergibt sich ein völlig anderes, mehrdimensionales Bild. Du kannst die Worte von oben nach unten, von links nach rechts wie in den westlichen Sprachen lesen, aber auch von rechts nach links wie im hebräischen oder im arabischen Sprachraum. Jetzt kommt der Professor ins Spiel.«
Der räusperte sich kurz. »Ich will noch zu den Ausführungen Ihres zweifellos klugen Freundes etwas ergänzen. Die Acht ist in vielerlei Hinsicht interessant. Sie ist bei den Assyrern und Babyloniern die Zahl der Göttin Ischtar bzw. ihres Planeten der Venus. Sie ist die Zahl der Unendlichkeit und die Lieblingszahl des Königs Sanherib, demHerrscher von Ninive. Er, sagt die Legende, starb eines grauenvollen Todes, weil er den Kult der Lilith im Volk verbot. Soviel zum Hintergrund. Also, die Kabbala arbeitet mit der Übersetzung von Worten in Zahlen. Ich habe darüber vor einigen Jahren ein Buch verfasst. Ich kann es nur
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