Der Lilith Code - Thriller
Bombe, und auf dem Vorhof explodierten zwei weitere. Aleppo, die Perle Syriens, hatte an diesem Tag 134 Tote zu beklagen.
Ed und Jan hatten die Welle mit Blessuren und einigen Splitterwunden halbwegs überstanden. Dr. Arisians hingegen lag vornüber gebeugt auf seinem Schreibtisch, die leeren Augen blickten auf sein Messingschild, der Rücken war aufgerissen, die weißen Knochen seiner Wirbelsäule stachen heraus. Jan hatte sich hochgezogen, den Raum nach weiteren Verletzten abgesucht. Zuerst sah er den jungen Araber. Er lag rücklings auf einem kleinen Holztisch, den Kopf nach hinten verrenkt. Aus seinem Hals pulsierte eine kleine Blutfontäne, das Fensterstück hatte die Halsarterie angerissen. Jan versuchte, die Arterie abzudrücken, aber gleichzeitig merkte er, wie das Leben aus dem jungen Mann wich. Hektisch drehte Jan sich um. Eduard hatte sich mittlerweile auch vom ersten Schock erholt und blickte wankend um sich. Hinter ihm lag Faruk Al-Ali. Ed durchsuchte dessen Jackentaschen. Mehrere Metallteile hatten sich auch in seine Brust gebohrt, staken jetzt wie ein surreales Kunstarrangement aus dem blutgetränkten weißen Hemd hervor.
Jan drückte Eduard beiseite, beugte sich über den mit Putz bedeckten hageren, seltsam verdrehten Körper. Erfühlte den flachen und unregelmäßigen Puls des Syrers und schob dessen Augenlider vorsichtig hoch. Al-Ali atmete nicht. Jan spürte das unregelmäßige Schlagen unter seiner Hand. Er begann mit einer Reanimation, als plötzlich Ed hinter ihm schrie: »Der Typ ist vom Geheimdienst, ein hohes Tier. Lass ihn verrecken!« Wie zum Beweis hielt er einen Ausweis hoch.
Jan intensivierte seine Herzmassage noch. »Das interessiert mich überhaupt nicht«, presste er hervor.
Ed wollte etwas erwidern, als ein Arzt über die zersplitterten Reste der Tür hinweg in den Raum trat. Er rief etwas auf Arabisch, blickte zu Jan hinunter, der ihn auf Englisch anherrschte, dass er auch Arzt sei und wisse, was er tue.
Ein unregelmäßiges Röcheln erklang aus dem Mund des Hageren. Jan nahm seine Hände vom Brustkorb, für einen Augenblick geschah nichts. Dann hob sich die Brust, und mit einem weiteren Röcheln atmete Al-Ali wieder selbständig. Helfer kamen herein, legten Al-Ali auf Anweisung des Arztes auf eine Trage und schoben ihn in den Gang hinunter. Jan schaute Ed gar nicht mehr an, wie selbstverständlich lief er mit dem arabischen Arzt auf den Flur und verschwand in einen der großen Säle, die am Ende des Ganges lagen.
Ed rannte hinter ihm her. »Wir müssen weg, das ist der Geheimdienstchef. Und er kennt uns! Jan, lass uns abhauen.«
In dem großen Saal, der eigentlich für Feierlichkeiten und Ehrungen vorgesehen war, bot sich ein Bild des Schreckens. Jan achtete jedoch nicht darauf, sondern ließ sich kurz die Fakten aufzählen und wurde in wenigen Minuten Teil des medizinischen Teams.
Während sich Jan sorgfältig die Hände mit Desinfektionsmittel einrieb, versuchte Ed es noch einmal. »Ich muss hier weg, und du solltest besser mitkommen. Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber wir sind, verdammt, in Gefahr.«
Jan drehte sich langsam um. »Sieh zu, dass du Yussef unbemerkt heraufbringst. Ich sorge dafür, das er als Erster operiert wird.« Er schaute Ed durchdringend an und fügte hinzu: »Und dann solltest du tun, was du für richtig hältst. Ich bin Arzt. Ich muss hier bleiben.«
Ed schüttelte den Kopf und verließ den Saal. Jan sah ihm nicht nach.
Eine halbe Stunde später wurde Yussef hereingebracht. Keinem fiel etwas auf.
Aleppo, 15. 06., 5.11 Uhr
Einem jeden Volke gaben wir Norm (Religion) und einen offenen Weg. Wenn es Allah nur gewollt hätte, so hätte er euch allen nur einen Glauben gegeben; so aber will er euch in dem prüfen, was euch zuteilgeworden ist. Wetteifert daher in guten Werken, denn ihr werdet alle zu Allah heimkehren, und dann wird er euch über das aufklären, worüber ihr uneinig wart.
Koran, Sure 5, 49
Eine seiner ersten Operationen in dieser Nacht brachte ihm einen Patienten auf den Tisch, den er nicht erwartet hatte. Man hatte den Mann nicht narkotisiert, sondern ihm lediglich eine Schmerztablette verabreicht. Jan erkannte Al-Ali sofort. Das Falkengesicht hatte die Augen geöffnet und wollte sich erheben. Jans Kollegen drückten ihn sanft zurück. Immer noch kamen neue Fälle herein. Die Flure waren überfüllt mit provisorischen Betten, in denen die Verletzten teils still vor sich hin wimmernd, teils schreiend und weinend
Weitere Kostenlose Bücher