Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
konnte ich es nicht mehr mit ansehen; ich ertrug es einfach nicht mehr, dabei zu sein, ohne etwas tun zu können. Ich wusste, dass ich versuchen könnte, was ich wollte, und es bloß noch schlimmer als vorher enden würde. Deshalb hielt ich mich fern und hoffte ... wie ich immer hoffte ...«
Sie brach ab, und irgendetwas in ihrem Blick gab Danni das Gefühl, einen wichtigen Hinweis übersehen zu haben.
»Du willst mir also sagen, dass du dein Leben immer wieder neu durchlebst?«
»Nicht alles.«
Nicht alles? Was hieß das nun wieder?
»Man könnte auch sagen, dass es dein Leben ist, das ich immer wieder neu durchlebe.«
Danni runzelte die Stirn. »Mein Leben ...?«
Und plötzlich brach die Erkenntnis mit einer solchen Macht über sie herein, dass ihr für einen Augenblick ganz schwindlig wurde. Heute Nacht würde die erwachsene Danni sterben, aber ihr kindliches Ich würde weiterleben, um in Arizona ausgesetzt zu werden, wo sie immer auf der Suche nach etwas sein würde, was sie nicht finden und nicht haben konnte. Und heute Nacht würde auch der junge Sean sterben, und nur sein Geist würde weiterleben und immerfort Gerechtigkeit zu erlangen versuchen. Die beiden würden auf entgegengesetzten Seiten der Welt leben, bis Colleen Seans Geist eines Tages losschicken würde, um Danni zu suchen und sie zu diesem Moment in der Zeit zurückzubringen, an dem alles von Neuem geschehen würde.
»Du wusstest, dass wir kamen, Sean und ich, weil wir schon vorher hier gewesen waren«, flüsterte sie.
Colleen nickte.
»Aber wir ändern nichts. Wir sind nur hierher zurückgekommen, um zu sterben. Ist es das, was du mir sagen willst?«
Colleens Unterlippe zitterte, ihre Augen schimmerten von ungeweinten Tränen.
»Aber irgendetwas hat sich dieses Mal geändert, nicht? Du denkst, dass etwas anders ist. Warum? Was ist es?«
»Das kann ich dir nicht sagen«, flüsterte Colleen. »Schicksal, Fügung, höhere Gewalt - die kann vom Willen eines Menschen nicht beeinflusst werden, nicht? Nicht, indem man zurückblickt und es anders macht. Gott weiß, dass ich oft genug versucht habe, seinen Lauf zu ändern.«
»Red nicht drumherum, Colleen! Sag mir einfach, was ich tun soll! Sag mir, wie ich ihn retten kann!«
»Damit ich es wieder nur verschlimmere? Um vielleicht sogar ein Leben gegen ein anderes zu tauschen? Oder die einzige Chance, etwas zu ändern, wieder zu verderben? Hast du nicht gehört, was ich dir gesagt habe? Ich habe es versucht und bin gescheitert. Was immer kommen soll, muss von dir kommen, Danni.«
Colleen hatte es versucht und war gescheitert, aber sie hatte auch etwas richtig gemacht. Etwas, das zu diesem Moment, zu diesem Augenblick der Wahrheit geführt hatte - es sei denn, auch dies sei nur wieder ein weiteres Szenario des sich ständig wiederholenden Rituals.
»Was hat das Buch von Fennore mit mir zu tun, Colleen?«, fragte Danni mit sorgenvoller Miene. »Soll ich es benutzen? Ist es das, was du nicht sagen willst?«
Das Mondlicht verlieh Colleens Haut einen wachsartigen Glanz. Sie sah regelrecht gespenstisch aus, wie sie im fahlen Schein des Mondes auf ihrem Felsen hockte. Die Furchen in ihrem Gesicht waren kennzeichnend für die tiefen Täler ihrer Sorgen, die zerklüfteten Gipfel ihrer Freuden und breit gefächerten Ströme ihrer Hoffnung. Der Wind ließ die Enden ihres Umhangs flattern und zupfte an den dünnen Haarsträhnen der vorzeitig gealterten Frau. Sie sah ratlos und allein aus, zugleich aber auch wie jemand, der sich nicht unterkriegen ließ und ungemein entschlossen war.
»Du musst auf dich selbst vertrauen, Danni«, sagte sie schließlich leise. »Wenn du glaubst, es sei das Buch, das du benutzen musst, solltest du es tun. Nur du kennst die Antwort auf das Rätsel.«
»Wieso nur ich?«
»Weil du es geschrieben hast«, gab Colleen zurück.
Danni kniff die Augen zu gegen die Wut, die in ihr aufstieg. Warum konnte diese Frau ihr keine klare Antwort geben? Ja oder nein, geh oder bleib! Benutz es oder hüte dich davor!
»Sag mir doch einfach nur die Wahrheit«, verlangte Danni, außerstande, ihre Verärgerung noch länger zu verbergen.
»Ja, die Wahrheit wollen wir alle wissen, nicht? Aber wer kann schon sagen, was die Wahrheit ist? Ich jedenfalls nicht, weil ich schon zu viele Male falsch geraten habe.«
Danni öffnete die Augen wieder, als ihr Colleens geflüsterte Worte von vorhin wieder in den Sinn kamen. Schicksal, Fügung, höhere Gewalt - die kann vom Willen eines Menschen nicht
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