Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
tun, was ich kann, Fia. Doch meine Zeit geht zu Ende. Kannst du das nicht sehen?«
Fias Augen füllten sich mit Tränen. »Du hast es aber gar nicht so oft benutzt, oder?«
»Das spielt keine Rolle. Jedes Mal, wenn ich meine Hände in die Schwärze tauche, nimmt es mir etwas. Und viel ist mir nicht mehr geblieben.«
Fia ließ sich neben ihrer Schwester auf die Knie nieder und umarmte sie. Doch es war Edel, die sie tröstete.
»Psst, mein Schatz. Ich werde dich beschützen, falls ...« Sie unterbrach sich und hob plötzlich den Kopf, um sich prüfend in dem Zimmer umzusehen. »Hast du das gehört?«
»Was?« Nun blickte sich auch Fia um.
Edel stand auf und ging durch den Raum, gefolgt von Fia, die ihr wie ein Hündchen auf den Fersen blieb. Edels Blick ging zu der Ecke, in der Danni stand, verweilte dort für einen beängstigend langen Moment und glitt dann weiter.
»Was hast du gehört?«, wollte Fia wissen.
Plötzlich zog Edel scharf den Atem ein, und Danni folgte ihrem erschrockenen Blick zum Fenster, auf dessen anderer Seite ein Mann stand und sie ansah. Er war nur einen Augenblick dort, bevor er zurücktrat, doch Danni hatte ihn gesehen, Edel ebenfalls.
Seine Augen waren hart und glänzend, bösartig und aggressiv gewesen. Auch schon beim ersten Mal, als Danni hier gewesen war, hatte ein Mann von draußen hereingeschaut. An jenem anderen Abend hatte er Danni nicht gesehen, aber heute ...
Diesmal hatten sie einander sogar erkannt.
Der Mann am Fenster war Dannis Vater, Cáthan MacGrath, gewesen.
»Was ist? Was hast du gesehen?«, fragte Fia und trat nun auch ans Fenster, um in den strömenden Regen hinauszuschauen. Wie beim letzten Mal war der Mann jedoch so schnell verschwunden, als hätte ihn der Wind davongetragen.
Wieder wurde Danni von kalter Angst erfasst. Sie hatte sich in Arizona nicht bloß eingebildet, ihn gesehen zu haben, das wurde ihr jetzt klar. Der Mann dort hatte nicht nur ausgesehen wie ihr Vater, sondern war es gewesen.
Aber wie machte er das? So wie Danni? Und warum war er hier - bei jenem anderen Mal und jetzt schon wieder?
Ja, warum wohl?, antwortete eine Stimme in ihrem Kopf. Er sucht das Buch.
Noch etwas anderes fiel Danni in diesem Moment ein. Sie erinnerte sich plötzlich wieder an die Wahrsagerin, die an dem Tag, als sie ihren Dad gesehen hatte, auf sie gewartet hatte ... Die Frau hatte von einem Geist gesprochen - von einem, den alle Hellseher in Dannis Nähe wahrnehmen konnten. Sie hatte gelächelt und geglaubt, es handele sich um Sean, aber die Frau in dem Esoterikladen hatte gesagt ... Danni runzelte die Stirn, als sie sich an die genauen Worte der Hellseherin zu erinnern versuchte. Sie hatte gesagt, Danni liefe vor der Wahrheit davon und dass sie sich mit diesem Davonlaufen zerstören würde. Und dann hatte sie noch hinzugefügt, der Geist wolle das, es mache ihn glücklich.
»Was hast du gesehen?«, wiederholte Fia ihre Frage mit einem Anflug von Panik in der Stimme. »Da draußen ist nichts, Edel.«
»Du hast recht. Es ist nur meine Einbildung, die heute Abend ihre Scherze mit mir treibt. Würdest du für mich das Feuer anzünden?«
Mit einem unsicheren Nicken hockte Fia sich an den Kamin und setzte die Arbeit ihrer Schwester fort.
Edel blieb noch einen Moment am Fenster stehen, dann drehte sie sich langsam um und blickte Danni in die Augen. Für einen langen Moment starrten sie sich an. Danni hegte nicht einmal mehr den kleinsten Zweifel, dass Edel sie sehen konnte.
»Ich werde dir beistehen, falls Mum versucht, dich wieder loszuschicken«, sagte Fia, während sie etwas, das wie Lehmziegel aussah, ins Feuer legte.
»Zerbrich dir nicht den Kopf über das Buch, Schwester«, erwiderte Edel, den Blick noch immer unverwandt auf Danni gerichtet. »Ich glaube, das wird für beide von uns kein Problem mehr sein.«
Dannis Haut fühlte sich ganz klamm an, als sie das schwere Buch an ihre Brust drückte. Ihr Herz schlug so hart gegen ihre Rippen, dass sie befürchtete, es könnte kollabieren und stehen bleiben.
Lächelnd vor Verwirrung und Erleichterung, schaute Fia sich nach ihrer Schwester um, aber ihr Blick blieb an der Zimmerecke hängen, und sie erstarrte. Wie in Zeitlupe sah Danni, wie Fia die Hände vor den Mund schlug und erschrocken und überrascht die Augen aufriss, während sich ein Schrei in ihrer Kehle formte.
Schlag um!, schrie Danni in Gedanken und versuchte, die Luft mit purer Willenskraft dazu zu bringen, sich zu verändern und sie von hier
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