Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
Kopf gehen mochte.
»Du denkst an Kobolde, aber ist es nicht so, dass wir in Irland glauben, alle Amerikaner ritten Pferde und erschössen sich gegenseitig in Saloons? Fest steht jedenfalls, dass wir Iren praktisch alle abergläubisch sind. Die Kobolde, von denen meine Großmutter dir erzählen würde, waren jedoch alle grausame kleine Monster. Ich will nicht behaupten, dass die meisten Leute noch an die alten Überlieferungen glauben, aber es gibt doch einige wie meine Nana, die es noch tun. Worauf ich hinauswill, ist, dass Aschenbrödel, wenn es eine irische Geschichte wäre, von der guten Fee nichts Gutes zu erwarten gehabt hätte. Sie hätte ihr drei Köpfe angezaubert oder sie in einer dunklen Höhle verschwinden lassen, wo sie festgehalten worden wäre, bis die Flut hereingekommen wäre und das arme Ding ertränkt hätte.«
»Und was sagt deine Großmutter über die Weiße Frau?«
Sean rieb ihre Hände, während er sich seine Antwort überlegte. Seine Großmutter hatte die Erscheinung zweimal gesehen, und beide Male hatte sie ein Desaster mitgebracht. Sean hatte nie an diesen Geist geglaubt, aber er empfand einen gesunden Respekt vor Nanas Furcht davor.
»Als ich ein kleiner Junge war«, begann er vorsichtig, »pflegte meine Großmutter zu sagen, ich solle mich vor den Feen hüten. ›Sei niemals ein zu braver Junge, Sean‹, ermahnte sie mich immer wieder.«
Danni zog die Brauen hoch bei dieser Beschreibung seiner Großmutter, und ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Und warum tat sie das?«
»Na ja, weißt du, sie dachte, wenn ich zu brav wäre, würden die Feen kommen und mich stehlen. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr einzugestehen, dass ich so brav sowieso nie war. Was ich aber eigentlich damit sagen will, ist, dass Irlands Feen Dinge tun, wie die Gelddose einer Mutter von sechs hungrigen Kindern zu verstecken, damit sie die besten dieser Kinder stehlen können, während die Mutter fort ist und um Nahrung bettelt.«
»Das ist ja schrecklich.«
»Na ja, die irische Geschichte war nie sehr fein und hübsch.«
»Aber was hat das mit dem Kamm zu tun?«
»Kannst du einen Iren nicht in Ruhe seine Geschichten erzählen lassen, Frau?«
Wieder lächelte sie - und diesmal erreichte das Lächeln sogar ihre Augen.
»Der Kamm müsste also etwas sein, was die Leute für ein Lockmittel gehalten haben.«
Danni versteifte sich, worauf Sean sich unterbrach und sie aufmerksam beobachtete. Als sie es merkte, entzog sie ihm ihre Hand und begann wieder, nervös mit ihrem Glas zu spielen. Ihre nächsten Worte verstärkten noch sein ungutes Gefühl und ließen es zu wirklich bösen Vorahnungen anwachsen.
»Der Kamm hat mich in der Tat verlockt«, gab Danni leise zu. »Ich wollte ihn berühren - sogar unbedingt berühren.« Ihre Lippen wurden schmal, ihr Gesicht ganz blass. »Aber erzähl weiter«, forderte sie ihn auf.
»Eigentlich ist da gar nichts weiter. In Wirklichkeit ist die Geschichte wahrscheinlich der Meerjungfrauen-Mythologie entnommen worden - den Legenden über verführerische Sirenen, die mit ihrem wundervollen Haar und ihren funkelnden Kämmen Seemänner anlocken, um sie dann in der kalten See ertrinken lassen. Nimm ihn einfach nicht, falls sie dir den Kamm noch einmal anbietet.«
»Bestimmt nicht«, sagte Danni leise, und die Ernsthaftigkeit, mit der sie es versprach, war sehr beredt. Sie glaubte daran, dass es geschehen könnte.
»Was hast du sonst noch in einem Traum gesehen?«, fragte Sean.
Danni starrte in ihr Glas und antwortete nicht. Er hatte gleich gewusst, dass da noch mehr war, als sie das Thema angesprochen hatte. Sie hatte zu Beginn sehr schnell und abgehackt geredet, was darauf hingewiesen hatte, dass sie ihre Geschichte während des Erzählens geändert hatte. Das alles hatte seine Neugier nur verschärft. Danni hatte Angst, das merkte er. Er konnte ihre nervöse Anspannung ganz deutlich spüren, und sie löste in ihm einen schon fast urzeitlichen Beschützerinstinkt aus, der ihn wie ein mit einem scharfen Haken versehenes Eisen packte.
Danni holte tief Luft und sagte: »Ich habe auch meine Mutter gesehen.«
»Deine Mutter?«
»In dem Traum«, erläuterte sie. »Sie hat mich aus dem Grab gezogen.«
»Aus was für einem Grab?«, gab er verblüfft zurück.
»Aus dem, vor dem ich dich stehen sah«, erwiderte Danni leise.
Sean schluckte heftig, weil ihr Ton ihm nicht gefiel. Und was sie sagte, gefiel ihm noch viel weniger.
»Das war aber ein sehr bewegter Traum,
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